Ausgabe 1 · April 2006

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Mehr Sicherheit durch mehr (Ver-)Ordnung?

Ein Nachruf auf die FAusrüstV (geschrieben, bevor der Bundesrat sie abservierte)

von Bernd Sluka

Was ist neu an der Fahrrad-Ausrüst-Verordnung (FAusrüstV)? Der Name.

Der Entwurf selbst geistert seit gut 7 Jahren als »StVZO-Novelle« durch die Politik. Der Inhalt bietet auch nichts wirklich Neues, nur mehr von dem Alten, das man schon in der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) findet, mehr Vorschriften und mehr Einschränkungen.

Darin besteht das eigentliche Problem: Vorschriften verkomplizieren das Radfahren. Sie sollten also, will man wirklich das Radfahren fördern, nötig und begründet sein. Wenige bestehende Vorschriften der jetzigen StVZO zu Fahrrädern und noch weniger Vorschriften der neuen FAusrüstV sind begründet. Und die anderen bleiben oft hinter dem Stand der Technik zurück. Zusätzlich fehlen wichtige, sicherheitsrelevante Regelungen.

Grundsätzlich sollte man sich aber erstmal darüber im Klaren sein, ob man Regeln für die Konstruktion und Ausrüstung von Fahrrädern überhaupt braucht. Der Entwurf der FAusrüstV begründet diese philosophisch-politische Entscheidung mit den Unfällen durch technische Ursachen. Schaut man genauer hin, stellt man fest, daß bei über 97,7 % der Fahrradunfälle technische Fehler keine Rolle gespielt haben. Dort wäre effektiv anzusetzen, z. B. durch Integration des Radverkehrs im Fahrzeugverkehr, anstatt ihn zu den Fußgängern und damit aus den Sinnen der anderen Fahrzeugführer abzudrängen, bei der Reduktion der von Kraftfahrzeugen gefahrenen Geschwindigkeiten, bei der Vereinfachung durch Abbau von Sonderregeln und -lösungen.

Stattdessen hängt sich die ganze FAusrüstV an der Minderheit der 2,3 % von Fahrradunfällen auf, bei denen technische Gründe mitursächlich waren. Schaut man genauer hin, sind darunter wiederum viele Unfälle von Kindern. Sie stellen 21 % der technischen Mängel, bei Bremsen sogar 39 %. Dieser hohe Anteil deutet darauf, daß es sich bei Versagensfällen nicht um ein Ausrüstungs-, vielmehr um ein Wartungs- bzw. Haltbarkeitsproblem handelt, denn gerade Fahrräder von Kindern werden selten gewartet.

Will man also wirklich Vorschriften für die Ausrüstung von Fahrrädern machen? Wenn ja, dann sollten sie aber wenigstens einen nachweislichen Einfluß auf die Unfallhäufigkeit haben.

Beispiel Beleuchtung: Vieles, wie die deutsche Unfallstatistik und eine dänische Untersuchung, deutet darauf hin, daß eigene Beleuchtung am Fahrrad im Mittel gar keinen Sicherheitsgewinn bietet. Offenbar fahren nicht eigenbeleuchtete Radfahrer vorsichtiger und gleichen so möglicherweise vorhandene Sichtbarkeitsdefizite aus. Das funktioniert nicht immer – Berichte über zwei auf einem dunklen außerörtlichen Radweg frontal zusammengestoßene Radfahrer liest man gelegentlich –, aber im Großen und Ganzen doch. Muß man also Beleuchtung vorschreiben? Aus Unfallgründen wohl nicht.

Aber um sinnvoll, d. h. einigermaßen zügig Rad zu fahren und mit anderen Verkehrsmitteln konkurrieren zu können, braucht man eigenes Licht. Deswegen wäre es schon sinnvoll, Beleuchtung zu fordern. Nur man muß dazu nicht ins Detail gehen, nicht die Art der Energieversorgung oder sogar die Nennspannungen ausdrücklich festlegen. Würde es nicht genügen, eine Mindest-Beleuchtungsstärke und eine maximale Blendung vorzugeben, innerhalb der sich jeder die für ihn notwendige (vom Positionslicht bis zum Breitstrahler für dunkle Wege im Wald) aussucht und bei Fahrten in der Dunkelheit auch betriebsbereit hält?

Davon abgesehen, daß die FAusrüstV den Anspruch auf eine sinnvolle, den Radverkehr fördernde Beleuchtung gar nicht erfüllen kann. Enthält sie doch StVZO-Antiquitäten wie die Einstellungsvorschrift, welche die Reichweite von Fahrradscheinwerfern auf knapp über 10 Meter begrenzt. So etwas sollte schon längst auf dem Müll der Rechtsgeschichte vergammeln.

Weitere Beleuchtungsdetails der FAusrüstV sind die Forderung nach einem Standlicht im Rücklicht. Es ist müßig, zu sagen, daß natürlich ein Wirksamkeitsnachweis fehlt. Dieses Schicksal teilt auch das Reflektorgeglitzer, das uns erhalten bleiben soll und zukünftig weiter ausufern darf. Sowohl Bundesverkehrsministerium als auch Bundesanstalt für Straßenwesen wußten auf die Frage nach einer Untersuchung, die eine Schutzwirkung belegt, keine Antwort. Dafür brauchen verkleidete Mehrspurer zukünftig »Blinker«, während sie aber für verkleidete Einspurer und alle andere Fahrräder verboten bleiben.

Beispiel Bremsen: Erhöht eine gute Bremsanlage wirklich die Verkehrssicherheit? Oder wird der Gewinn durch eine riskantere Fahrweise ausgeglichen, so wie das u. a. beim ABS der Autos nachgewiesen wurde? Keiner weiß es genau. Untersuchungen zum Einfluß von Fahrradbremsen auf Fahrweise und Unfallhäufigkeit fehlen. Trotzdem macht die FAusrüstV nun mit festem Glauben Vorschriften an die Mindestwirkung von Bremsen, die im Straßenverkehr ob ihrer Liebe zum Detail aber niemand wirklich nachprüfen kann, am wenigsten die Polizei. Die StVZO hat dagegen nur zwei unabhängige Bremsen gefordert, die irgendwie das Rad zu Stillstand bringen sollen.

Auf der anderen Seite bleiben die Anforderungen an die Bremsen deutlich hinter dem Stand dessen zurück, was moderne Fahrradbremsen leisten können. Verzögerungswerte von einen Meter je Sekundenquadrat bei Nässe sind nicht wirklich erstrebenswert. Da steht das Fahrrad aus 30 km/h erst nach 40 Metern, das vorausfahrende Auto aber nach weniger als der Hälfte der Strecke. Die vorgeschriebenen Mindestbremswerte schafft sogar mein Bahnhofsrad aus den 70-ern mit klapprigen Seitenzugbremsen auf nassen Stahlfelgen. Sinnvolle Neuerung?

Beispiel Anhänger: Unfälle mit Fahrradanhängern sind extrem selten. Trotzdem widmet ihnen die FAusrüstV nun mehrere eigene Paragraphen, schreibt diese Beleuchtung vor und jene Kupplung, begrenzt die Maße und die Masse und verhindert so zukünftig manchen Transport mit einem Fahrrad. Wenigstens der dickste Hund, Auflaufbremsen vorzuschreiben, obwohl deren Notwendigkeit nicht nachgewiesen und von einigen radfahrenden Schwertransportern angezweifelt wird, ist rausgeflogen. Rausgeflogen sind die Auflaufbremsen aber nicht, weil es auf dem Markt gar keine brauchbare solche Bremse für Fahrradanhänger gibt, und auch nicht, weil Verbände wie der ADFC und der VCD sich strikt dagegen ausgesprochen haben. Sondern sie sind rausgeflogen, weil die Welthandelsorganisation (WTO) darin ein Markthindernis gesehen hat.

Beispiel Bauartvorschriften: Alle Beleuchtungsteile und neu nun auch die Kupplungen für Kinderanhänger werden darauf geprüft, ob sie eisern eine vorgeschriebene Bauart einhalten. Das bedeutet z. B. Beschränkung auf 6V/3W und 12V/6,2W bei Fahrradbeleuchtung. Die Wirksamkeit in der Praxis wird dadurch jedoch nicht gewährleistet, wie am offensichtlichsten das Beispiel durchrutschender Seitenläufer-Dynamos mit Prüfzeichen belegt. Die Bauartprüfungen vieler Teile verhindern seit Jahren, teilweise Jahrzehnten, Innovationen auf dem Gebiet der Fahrradtechnik oder erschweren sie zumindest erheblich. Schaut man das ganze wieder von der Seite des Vorschriftenbefürworters an, stellt man fest, daß die Prüfung sicherheitsrelevanter Teile wie Gabeln, Lenker, Vorbauten oder Schutzblechbefestigungen fehlt.

Beispiel Warnzeichen: Die traditionelle Fahrradglocke, dieses schon bei ausgeschaltetem Motor im Auto kaum hörbare Warnzeichen, bleibt uns erhalten. Denn Unfälle, bei denen Radfahrer im Vertrauen auf die Warnung zünftig klingelnd trotzdem von einem Auto flachgelegt wurden, geraten nicht als technische Ursache in die Statistik.

Zukünftig muß die Klingel auch noch am Lenker – Jedes Fahrrad hat doch einen Lenker? – angebracht sein. Die innovative Lösung, die schon durch eine laute menschliche Stimme zu übertreffende Bimmel, an der linken Kettenstrebe anzuschrauben, wo sie am wenigsten stört, entfällt. Aber wirksame, in anderen Fahrzeugen hörbare, Warnzeichen bleiben an Fahrrädern verboten.

Wen wundert es da noch, daß auch olle Kamellen wie das zwar nie vollzogene, aber doch vorhandene indirekte Verbot von Liegerädern und Velomobilen durch die vorgeschriebenen »nach vorne und hinten wirkenden Pedalreflektoren« fröhlich ihre Fortsetzung feiern?

Viele Vorschriften der FAusrüstV sind alte Bekannte. Deren Sinnhaftigkeit wurde bei der Übernahme aus der StVZO nicht hinterfragt. Die Einwände der Fachverbände blieben unberücksichtigt. Ein Großteil der anderen Vorschriften besteht aus der Übertragung des alten – zensiert – auf Fahrradanhänger und mehrspurige Fahrräder ohne Erfahrung damit. So müssen z. B. Bremsen an Mehrspurern zukünftig auf beide Räder an einer Achse wirken.

Wirklich neu an der FAusrüstV ist nur, daß Fahrräder zukünftig vom Händler mit einem Aufkleber gekennzeichnet werden müssen. Aber auch diese Vorschrift ist nur der Torso einer einstmals vielleicht sinnvollen Regel. Eigentlich sollte der Händler damit die Verkehrssicherheit des von ihm verkauften Rads bestätigen. Kann er jedoch nicht, weil die dazu vorgesehene Erklärung, das Rad würde mit Normen übereinstimmen, daran scheiterte, daß es diese Normen nur für ein paar Standard-Fahrräder gibt. Geblieben ist eine Duftmarke des Händlers. Er hinterlässt Verkaufsjahr und seine Adresse auf einem häßlich großen Aufkleber.

Tut er es nicht, drohen ihm hohe Bußgelder und Flensburger Punkte. So, als wäre er mit dem Auto mit mindestens 61 km/h durch die 30-er-Zone gerast. Auch wenn er nicht bauartzugelassene Fahrradteile verkauft, muß er zukünftig in gleicher Höhe zahlen. Ein Revival der Zeltbeleuchtungen und Auslandsimporte ist absehbar, zum Nachteil deutscher Fahrradhändler wie auch -hersteller. Denn das Schlupfloch Ausland wird endlich aufgetan. Die EU garantiert, daß im Ausland rechtmäßig hergestellte und verkaufte Fahrräder, Anhänger und Bauteile auch in Deutschland verwendet werden dürfen.

Mein Fazit: Die FAusrüstV ist ein unbegründeter, unausgegorener, unnötiger und schludrig zusammengewürfelter Gesetzesvorschlag, der das Radfahren in Deutschland keine Pedalumdrehung voranbringen wird. Bestenfalls gereicht er zur Behinderung des Radfahrens und zu weiterer Schikanierung der Radfahrer.

Zum Autor

Bernd Sluka, Diplom-Mathematiker, tätig als Berufsschullehrer (Mathe, Oberstufe), Alltagsradfahrer, verbandlich gebunden im VCD Landesverband Bayern, Fachgebiete: Verkehrsrecht, Radverkehr, Verkehrsberuhigung, Autoverkehr.