Ausgabe 20 · Juni 2015

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Gefedert mit Lowrider?!

»reiseradgabel.de« – ein neues Gabelkonzept für Reiseräder

von Stefan Buballa

Federung am Reiserad – ganz wichtig?

Seit vielen Jahren verreise ich mit dem Fahrrad. Über die Jahre hat dies bei mir – wie bei anderen Redaktionsmitgliedern auch – zu einer immer intensiveren Beschäftigung mit der Fahrradtechnik geführt. Schließlich ging ich sogar daran, einen (klassisch-ungefederten) Reiseradrahmen selbst zu entwerfen und zu konstruieren. All dies geschah vor vielen Jahren als Student, lange Zeit danach war ich einfach nur froh, wenn meine Räder fuhren und ich nicht zu viel schrauben musste.

Kurzum, es juckte mich nach vielen Jahren wieder in den Fingern, etwas Neues auszuprobieren und so plante ich die Konstruktion eines vollgefederten Reiserades. Das Gepäck vorne und hinten sollte dabei natürlich mit zur gefederten Masse gehören. Dennoch wollte ich meinen KISS-Anspruch (»Keep it small & simple«) nicht ganz aufgeben und so musste die Konstruktion möglichst einfach, wartungsfrei und reparierbar sein. Für den Hauptrahmen (aus Stahl) und die hintere Schwinge hatte ich rasch die nötigen Ideen und fertigte meine Konstruktionszeichnung an.

Irrwege und Umwege

Ob man nun am Reiserad eine Vollfederung wirklich »braucht«, diese in irgendeiner Hinsicht »notwendig« ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Ich habe diesbezüglich meine ablehnende Position dargestellt, da für mich ein Reiserad in erster Linie aus einfacher, robuster und weltweit reparierbarer Technik bestehen sollte. Zudem empfand ich die Nutzung meiner Reiseräder auch auf üblen Schotter-Pisten immer ausreichend komfortabel. Aber es gibt natürlich auch die gegensätzliche Position. Gut ausgelegte Federungen können den Fahrkomfort erhöhen und im Idealfall auch die Belastung des Rades verringern. Olaf Schultz hat viele dieser Argumente in seinem Beitrag zusammengefasst.

Alleine mit der Gabel tat ich mich schwer. Es sollte eine geschobene Langschwinge werden, um Bremstauchen und Losbrechmoment zu verringern. Außerdem sollte sich natürlich ein normaler Lowrider als gefederte Masse problemlos montieren lassen. Zudem wünschte ich mir üppige Federwege (so um die 100 mm). Dies würde jedoch eine völlige Neukonstruktion erfordern. Gabelscheiden für eine Unicrownkonstruktion müssten beschafft und muffenlos gefügt werden. Leider ist gerade die Gabel ein neuralgischer Punkt bei einem »Upright« – Defekte durch einen Konstruktions- oder Fertigungsfehler können rasch zu schweren Stürzen führen. Lange drehte und wendete ich also meine Ideen im heißen Fett meiner Ängste. Schließlich wurde es mir zu dumm. Das Projekt sollte ja auch mal fertig werden und so zeigte ich nach vielem hin- und her meine Gabel-Entürfe einem befreundeten Rahmenbauer, der mich netterweise auch immer mit Rahmenbaumaterial versorgt.

Sein Urteil war vernichtend: »Das hält nicht – mach keinen solchen Unsinn!« meinte er. Ernüchtert begrub ich daraufhin alle Pläne, selber eine Gabel zu bauen.

reiseradgabel.de – die Idee

Ich nahm erneut Kontakt zu Alexander Mazey auf, dem Mann hinter reiseradgabel.de, mit dem ich bereits zuvor wegen der Materialsuche für den Gabelbau in Kontakt getreten war.

Die meisten Federgabeln, die an Reiserädern verwendet werden, sind Teleskopgabeln, die für den MTB-Sport entwickelt worden sind. Die Anforderungen am Reiserad sind jedoch andere. Sprünge, die viel Federweg erfordern, wird man mit dem beladenen Reiserad nicht machen. Dafür wäre man für ein feines Ansprechverhalten auf Kopfsteinpflaster dankbar. Und natürlich wünscht man sich eine robuste und wartungsarme Konstruktion. Schließlich muss ein normaler Lowrider so befestigt werden können, dass das Gepäck zu gefederten Masse gehört.

Bild 1: Die REISERADGABEL von der Seite

Konstruktion

Hier setzt Alex Mazey mit seiner Konstruktion einer Reiseradgabel an. Sofort fällt auf, dass dies keine weitere Variation einer Teleskopgabel ist. Die Gabel basiert auf dem Prinzip der »geschobenen Schwinge« (siehe oben) und hat als besonderen »Clou« Schwingenlagerung und Federung in einem Gummifederelement integriert.

Bild 2: Die REISERADGABEL von vorne

Dieses ist ein Normteil von ROSTA. Das Prinzip ist einfach: In eine Hülse mit quadratischem Querschnitt sind in die Ecken vier Gummistränge eingefügt. Hierein wird nun um 45 Grad zur Außenhülse verdreht ein quadratischer Aluminiumzylinder eingepresst, der bei Torsionsbelastung die vier Gummistränge zusammendrückt. Diese Elemente gibt es in verschiedenen Ausführungen und unterschiedlichen Federzahlen. Sie vereinigen die Funktionen »Lagerung«, »Federung« und »Dämpfung«. Weitere Lagerstellen, Dichtungen oder Gleitführungen, die anfällig für Verschleiß oder Spiel sein könnten, entfallen völlig.

Bild 3: Das rechte ROSTA-Element von innen

Während die Festgabel und das Verbindungsstück der Schwinge Rohrmaterial sind, besteht der Schwingenausleger aus einem mit vielen Aussparungen gelaserten und umgeformten Blech

Der mögliche Federweg liegt so um 60 mm, für ein Reiserad vorne meines Erachtens ausreichend.

Bild 4: Detail des linken Schwingenauslegers. Man sieht die massive Verschraubung des Federelements und die Scheibenbremsaufnahme.

Verarbeitung

Die Verarbeitung scheint solide ausgeführt, die wesentlichen Verbindungen sind WIG-geschweißt, die Anlötösen sind hartgelötet. Da ich mir bei der Gabel alle Optionen bezügliche Bremse (Scheibenbremse und V-Brake sind möglich) und Schutzblechbefestigung offen halten wollte, sind Anlötteile relativ reichhaltig vorhanden. Auch eine integrierte Scheibenbremsaufnahme fehlt nicht. Eine Feinabstimmung der Federhärte ist standardmäßig nicht vorgesehen, soll aber mittels Auspuffgummis möglich sein. Individuelle Anpassungen sind für geringen Aufpreis möglich. Die ganze Gabel ist pulverbeschichtet.

Montage

Bei der Montage zeigte sich, dass an den Ausfallenden die Beschichtung so dick gelaufen war, dass man das Vorderrad nur nach Nacharbeiten einsetzen konnte. Auch mussten einige der Gewinde freigeschnitten werden, da diese nur unzureichend abgedeckt waren. Die weitere Montage verlief jedoch problemlos.

Praxiserfahrung

Die erste Ausfahrt wurde mit leichtem Gepäck an einem sonnigen Januarwochenende durchgeführt. Asphalt, Kopfsteinpflaster und Feldwege gehörten ebenso dazu wie ein längerer Anstieg von 300 Höhenmeter nebst nachfolgender Abfahrt.

Schon beim Aufsteigen fiel auf: Die Abstimmung der Gabel ist überraschend weich, wiewohl die gewünschte Achslast von mir bei der Bestellung angegeben wurde. Bereits bei statischer Last federt sie 30–40 mm ein.

Bild 5: Die Gabel unter Belastung.

Dementsprechend angenehm war auch der Federungskomfort: Gerade bei Kopfsteinpflaster führte das feine Ansprechverhalten zu einer traumhaften Federwirkung. Weiter ging es über asphaltierte Feldwirtschaftswege, auch hier kann man der Gabel permanent »bei der Arbeit« zuschauen. Dann wurde es wieder rauer: Wir folgten einer Veloroute und landen prompt auf einem recht hoppeligen Feldweg. Auch hier arbeitete die Federung gut, ohne dass die Gabel sich aufschwingt. Dann ging es eine längere Strecke bergauf. Das zu erwartende permanente leichte Arbeiten der Federung störte mich nicht.

Bild 6: Anstieg auf den Mont Vuilly oberhalb vom Murtensee.

Oben angekommen gab es erst einmal eine kurze Pause.

Dann kam die Abfahrt. Und hier stellte ich in einem bestimmten Geschwindigkeitsbereich eine unangenehme Flattertendenz fest! Diese erwischte mich kalt, mit Bremsen und Knie am Oberrohr brachte ich die Maschine wieder unter Kontrolle. Auch bei stärkerem Bremsen vorne (V-Brake) zweigte sich dagegen die Überlegenheit der Konstruktion: Bremstauchen trat in keinem Fall auf.

Bleibt die Frage, wie das beobachtete Flattern zustande kam. Die Gabel wurde für die »Jungfernfahrt« eines neuen Rahmens montiert, dessen Lenkgeometrie und Hinterbauschwinge vielleicht auch mit einer anderen Gabel bereits Anlass zum Flattern geboten hätten, obwohl zumindest Steuerrohrwinkel und Nachlauf durchaus im Bereich des Üblichen waren.

Das nagelneue Vorderrad ist jedenfalls spielfrei und gut zentriert, auch die Rohrdurchmesser des Hauptrahmens sind recht üppig, sodass die Ursache für die gemachten Beobachtungen unklar bleibt.

Bild 7: Radstillleben vor den römischen Ruinen von Windisch.

An einem Samstagnachmittag mit Schneeregen schaute ich mir das Problem nochmals an. Die Schwinge musste sowieso demontiert und ein angerissener Steg nachgelötet werden. Darauf montierte ich alles wieder und ging nochmals alle potentiellen Einflussfaktoren durch. Zuerst wurde die Hinterbaulagerung überprüft und dabei ein leichtes Spiel festgestellt. stellte diese daraufhin spielfrei ein und nahm mir dann die Celasto-Federelemente vor. Die HR-Federung ist nämlich ebenfalls sehr weich abgestimmt – vielleicht haben diese Zylinder aus einem harten PU-Schaum eine negative Auswirkung auf die Flatterneigung? Also, raus mit den Dingern! Die Hinterbaufederung wurde kurzerhand mittels Ersatz der Federelemente durch Holzscheiben »stillgelegt«.

Bild 8: Hinterradfederung »stillgelegt«.

Nach Rücksprache mit dem Konstrukteur der Gabel hatte dieser empfohlen, die Feinabstimmung der Federhärte »in bewährter Recyclingart« mittels eingeknoteter Schlauchstreifen vorzunehmen. Dies stimmte mich schon ein wenig nachdenklich, aber gesagt, getan – probieren geht über studieren.

Bild 9: Unkonventionelle, aber umweltfreundliche Feinabstimmung der Federungscharakteristik …

Schließlich belud ich den Lowrider mit Ortlieb Frontrollern gleichmäßig mit ca. 8 kg und wagte mich in den kalten Schneeregen. Eine steile Wohnstraße war meine Teststrecke – mit zusammengekniffenen Augen stürzte ich mich ins Ungewisse und nahm Fahrt auf. Etwas mulmig war mir schon zu Mute, schließlich war das Flattern auf der ersten Testfahrt sehr unangenehm. Aber nichts passierte, die Maschine lief stabil, sogar ein bewusstes »Anregen« von meiner Seite hatte keinerlei negativen Effekt. Also die 10 % Steigung wieder rauf und weg mit den Taschen, mal schauen, welchen Effekt das »Schlauchtuning« solo hat! Wieder rolltee ich in die nasse Kälte – und wurde wieder positiv überrascht: Keinerlei Flatterneigung! Dann wollte ich es wissen: Mit nassen, kalten Fingern fummelte ich die Schlauchstreifen aus der Gabel und erklomm ein letztes Mal die Steigung. Nun wippte die Gabel wieder stärker und bei der Abfahrt flatterte es plötzlich wieder sehr stark, nur mit Mühe konnte ich das Rad kontrollieren! Etwas geschockt baute ich die Lowridertaschen wieder an und rollte vorsichtig nach Hause.

Abschließend legte ich die Gabel völlig still und siehe da, das Rad fuhr sich fast völlig flatterfrei!

Bild 10: Stillgelegte Federgabel.

Fazit

Radreisende, die eine Federgabel suchen, erhalten mit der Reiseradgabel ein robustes Exemplar, das sehr fein anspricht und für den Gepäcktransport optimiert wurde. Auch ist der Produzent sehr offen für individuelle Anpassungen und hat einen direkten Bezug zu Radreisen.

Weniger überzeugen konnte mich die serienmäßig fehlende Feinabstimmbarkeit der Federhärte und die in bestimmten Konstellationen hierdurch geförderte Flatterneigung. Sicher gibt es für Rahmenflattern die unterschiedlichsten Ursachen und es es ist wahrscheinlich, dass an einem steifen Hardtail keinerlei Probleme auftreten. An meinem Rahmen wirken kurzer Nachlauf (50 mm), relativ hoher Vorderbau sowie die lange (500 mm), seitlich nicht sehr steife Hinterbauschwinge sicher ebenfalls flatterfördernd. Im vorliegenden Fall wirkten sich aber eine verstärkte Dämpfung (durch Zuladung bzw. eingeknoteten Schläuchen und dadurch erhöhter Federzahl) oder gar die völlig Blockierung der Federung ganz klar positiv auf die Flatterneigung aus! Zumindest eine Feineinstellung der Federhärte sollte daher vom Hersteller noch nachgerüstet werden.

Der Hersteller hat auf eine angebotene Stellungnahme verzichtet, sich aber bereiterklärt, das Phänomen genauer zu untersuchen. Hierzu hat er mir u.a. eine steifere Testschwinge zugesandt, bei der sich auch die Geometrie verändern lässt und zugesagt, ggf. eine neue Schwinge zur Spezi mitzubringen.

Technische Daten

Abstand Steuersatzsitz bis Mitte VR-Achse (unter statischer Last) 448 mm
Vorbiegung 50 mm
Klemmbreite 100 mm
Preis 399 €

Zum Autor

Stefan Buballa, Arzt, Alltags- und Reiseradler, Selbstbau eines Reiserades und eines Alltags-Kurzliegers. Er ist fasziniert von der Schlichtheit und ökologischen Effizienz muskelkraftbetriebener Fahrzeuge. Besondere Interessen: Ergonomische und leistungsphysiologische Aspekte. Besondere Schwächen: Radreisen in Afrika und Nahost …