Ausgabe 0 · Februar 2006

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Mobilitätsleitbilder und Verkehrsverhalten

Konrad Götz

Ausgangshypothese des Projekts »Mobilitätsleitbilder und Verkehrsverhalten« [1] war die Annahme, daß in der bundesdeutschen Gesellschaft ein Mobilitätsleitbild dominiert, das vom Konzept des privat verfügbaren, selbst gesteuerten PKWs geprägt ist. Mit sozialwissenschaftlichen Methoden wurde dabei untersucht, inwieweit und in welchen Ausprägungen sich dieses Leitbild in den Orientierungen der Alltagsakteure wiederfindet.

Dabei interessierte besonders, ob Anzeichen neuer, alternativer Mobilitätsleitbilder in der Bevölkerung präsent und relevant sind. Die Ergebnisse hatten das praktische Ziel, Strategien zu finden, die es möglich machen, die Mobilität der Stadtbewohner – zumindest partiell – vom Verkehrsmittel Auto bzw. dessen schädlichen Folgen zu entkoppeln.

Die vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) durchgeführte sozialempirische Studie ist Teil des vom BMBF geförderten Projektverbundes, »City-Mobil« [2] , der die Bedingungen für eine »stadtverträgliche Mobilität« [3] wissenschaftlich untersucht hat .

Forschungsleitend war die Überzeugung, daß Schritte hin zu einer »stadtverträglichen Mobilität« nur dann möglich sind, wenn das alltägliche Verhalten der VerkehrsteilnehmerInnen, aber auch deren motivationaler Hintergrund berücksichtigt, erklärt und verstanden wird. Das bedeutet zuallererst, die überkommene Sicht von Mobilität als abhängige Variable der Planung zu verlassen und sich dem Verhalten der Alltagsakteure als einer eigenständigen und eigensinnigen Größe der Verkehrsentstehung zuzuwenden.

In methodischer Hinsicht verlangt dies, sich mit adäquaten Instrumenten auf die Perspektive und auf die Motive der alltäglichen Verkehrsteilnehmer einzulassen. Der Anspruch, die Entstehung von Verkehr besser verstehen zu wollen, macht es notwendig, nicht nur die zweckrationalen, sondern auch die motivationalen und symbolischen Bedeutungen des alltäglichen Verkehrs zu erfassen und – zunächst aus Sicht der Akteure – zu interpretieren.

Wer die bisherige Forschung zum Thema Alltagsakteure des Verkehrs durchsieht, wird feststellen, daß sie sich in vier Zweige aufspaltet, die kaum miteinander in Verbindung stehen:

Erstens gibt es die deskriptive Verhaltensforschung, der es hauptsächlich um die quantitative Erfassung der zurückgelegten Wege, den Zeitaufwand, die Entfernungen geht (so z.B. die kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten – KONTIV).

Zweitens die Einstellungsforschung der angewandten Sozialforschung bzw. Sozialpsychologie, der es um Meinungen/Einstellungen im Kontext von Umweltbewußtsein und Verkehrsverhalten geht (vgl. z.B. Jaufmann 1996).

Drittens die psychologische Forschung zu den Motiven des Autofahrens (z. B. die Arbeiten des Psychoanalytikers Hilgers oder des Psychologen W.-D. Heine).

Und viertens die zielgruppenorientierte Marketingforschung, die – weitgehend unveröffentlicht – die symbolische Dimension von Mobilität systematisch untersucht und daraus Schlüsse für die Positionierung von Produkten und Dienstleistungen zieht (vgl. Spiegel-Verlag 1993).

Diese interessen- und traditionsbedingte Aufspaltung des Problems in Einstellung/ Verhalten/ Motivhintergrund/ Zielgruppenorientierung erschwert ein adäquates Verständnis von Mobilität. Mit dem hier vorgestellten Forschungsdesign sollte diese Trennung überwunden werden und damit auch das Verständnis von Verkehrsverhalten als einer systemisch steuerbaren Größe.

Aber auch der in der Sozial- und Umweltpsychologie noch immer verbreitete Umkehrschluß, Einstellungen seien linear-kausale Gründe des Handelns, führt in die Irre. Handeln, insbesondere wenn es sich in Routinen und Habitualisierungen verfestigt hat, wirkt immer auch auf die Motive und die Handlungsinterpretationen zurück. In dem hier vorgestellten Projektdesign wird also davon ausgegangen, daß die Handlungsorientierungen (Motive, Wünsche und gesellschaftliche Normen) und das Verhalten einen sich gegenseitig beeinflussenden Zusammenhang darstellen, der durch ein geeignetes empirisches Untersuchungsdesign erfaßt und rekonstruiert werden muß.

Wenn auch Motivationen und Orientierungen auf der Ebene des Individuums untersucht werden, so bedeutet dies nicht, sie als rein individuelle Dispositionen zu behandeln. Vielmehr müssen – wenn der gesellschaftliche Wandel hin zu einer Pluralisierung von Lebensstilen ernst genommen wird – scheinbar individuelle Motivlagen immer im sozialen Zusammenhang verstanden werden. Es müssen also Lebenslage, Lebensphase und Lebensstil erhoben und als Kontext sozialen Handelns interpretiert werden.

Zunächst sind wir in unserem Untersuchungsansatz von der folgenreichen Unterscheidung zwischen Mobilität und Verkehr ausgegangen (Jahn, Schultz 1995). Mobilität hat in diesem differenzierenden Verständnis drei Bedeutungsdimensionen. Erstens als Bewegung von Personen und Dingen im physikalischen Raum; zweitens als sozial-räumliche Erreichbarkeit von Angeboten und Gelegenheiten der Bedürfnisbefriedigung; drittens als soziale Mobilität, die sich auf die Positionierung im »sozialen Raum« bezieht (vgl. Bourdieu 1982).

Die soziale Positionierung ist in unserer Kultur an die symbolische Dimension von Produkten und Handlungen geknüpft. So kann das Fahren in einem bestimmten Typ Automobil die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Milieu signalisieren, aber auch die Distanz zu einem anderen. Diese Bedeutungsdimension im Hinblick auf die soziale Positionierung hat zum einen die Soziologie der Alltagskultur, zum anderen – in einem anwendungsorientierten Zusammenhang – die Marktforschung untersucht (z.B. in Flaig 1993 oder Spiegel 1993). Von der Verkehrsforschung wurden die einschlägigen Ergebnisse dazu bisher kaum wahrgenommen. Auch dieses Defizit kann mit dem hier beschriebenen Untersuchungsansatz behoben werden.

Die gruppenspezifische Symbolik der Fortbewegung ist natürlich in einen gesellschaftlichen Zusammenhang eingebettet: Wie oben angedeutet, wurde der Untersuchung die Annahme zugrunde gelegt, daß in der bundesdeutschen Gesellschaft ein vom Auto geprägtes Mobilitätsleitbild dominiert, daß aber bisher viel zu wenig darüber bekannt ist, worauf die Stabilität dieses Leitbildes eigentlich beruht.

Der dabei verwendete Leitbildbegriff ist bewußt nicht normativ, sondern analytisch-beschreibend angelegt. Es wird also Distanz gehalten zu einem »utopischen« Leitbildbegriff, wie er in der Debatte über Nachhaltigkeit häufig Verwendung findet als Metapher für das, was alle »wollen sollen«, also für einen normativ hoch aufgeladenen künftigen Zustand.

Er ist zudem plural angelegt und arbeitet mit der Annahme, daß es unterschiedliche Mobilitätsleitbilder in der Gesellschaft gibt. Und er ist prozessual angelegt, was bedeutet, Leitbilder konstituieren sich in Wechselwirkung zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteursgruppen und können daher in relevante Elemente zerlegt werden. Dieser Leitbildbegriff nimmt schließlich die bildliche Dimension ernst: Gesellschaftlich relevante Bilder haben in jeder Kultur, im religiösen Kult ebenso wie beim Kult um die Fortbewegung, eine symbolische Dimension, die aber erhebliche materielle Wirkungen haben (vgl. Becker 1996).

So ist z.B. die Tatsache, daß der Besitz eines Automobils nach unseren Erkenntnissen für wichtige soziale Gruppen ein Symbol der gesellschaftlichen Integration ist, ein starker Hinderungsgrund für eine Entkoppelung der räumlichen Fortbewegung vom Automobil. Wenn aus Sicht einer sozialen Gruppe der Nichtbesitz eines Autos gesellschaftliche Desintegration oder gar Marginalisierung symbolisiert, dann ist der Umstieg auf Verkehrsalternativen äußerst unwahrscheinlich.

Das Untersuchungs-Design

Ein Projekt, daß neben dem Verhalten auch die symbolische und die motivationale Dimension analysieren will, muß – neben quantitativen – qualitative Methoden einsetzen. Nur mit Methoden, die den Gesprächspartnern keine Vorgaben in Form von vorgefertigten Variablen machen, ist es möglich, die spezifische Motivlage zu erfassen, um sie dann kontextuell – also im Gesamtzusammenhang des Gesprächs – adäquat analyieren zu können. Die an ein freies Gespräch angelehnte Interviewsituation garantiert, daß die Befragten sich in ihrer milieuspezifischen Originalsprache äußern können. Diese anspruchsvolle Methodik verlangt erfahrenes, motiviertes und für das Projekt speziell geschultes Interviewpersonal.

Auch hinsichtlich der Entwicklung des Fragebogens für die repräsentative Phase haben die qualitativen Befunde eine wichtige Funktion: Die Variablen, z.B. Einstellungs-Items, können, wenn so verfahren wird – möglichst alltagsnah, aber auch zeitgemäß formuliert werden. So ist gesichert, daß der Fragebogen, mit denen die Orientierungen erhoben werden, zeitgemäß formuliert wird. Dies ist in konservativ ausgelegten Untersuchungen, deren zentrales Anliegen die Vergleichbarkeit ist, nicht der Fall (vgl. z.B. die methodischen Anmerkungen zum »herausragenden Stellenwert« der Vergleichbarkeit der KONTIVs in Emnid 1989).

Angesichts dieser Erfordernisse und angesichts der Skepsis gegenüber den Daten der etablierten Verkehrsverhaltensforschung, fiel die Entscheidung für ein komplexes und damit der Fragestellung angemessenes empirisches Design (Graphik).

Qualitative Phase

In einem ersten qualitativen Untersuchungsschritt ging es darum, die Mobilitätsorientierungen anhand wichtiger Dimensionen von Fortbewegung (mit dem Auto, dem Fahrrad, dem ÖPNV und zu Fuß) zu erheben. Zu diesem Zweck wurden in beiden Städten bis zu zweistündige, offene Gespräche geführt, in denen auch der soziale Hintergrund der Befagten – Lebenslage, Lebensstil, Lebenssituation – erfaßt wurde.

Dieselben 100 Befragten in den Städten hatten sich bereit erklärt, ein Verkehrstagebuch zu führen, in das 14 Tage lang alle Wege, deren Zwecke, Entfernungen, Dauer, das benutzte Verkehrsmittel sowie eine eventuelle Begleitung eingetragen wurden.

Quantitativ-repräsentative Forschungsphase

In einem zweiten Forschungsschritt wurden in Freiburg und Schwerin je 1000 Bürgerinnen und Bürger einer Zufallsstichprobe befragt. Der Fragebogen enthielt Variablen, die als Indikatoren für die Mobilitätsorientierung, für den Lebensstil und für das Verkehrsverhalten dienten. Hinsichtlich der Verhaltensdimension wurde zwar ein projektspezifisches Erhebungsverfahren entwickelt (z.B. wurden 19 Wegezwecke erhoben), aber die grundsätzlichen Mängel einer auf Stichtagen basierenden Erfassung mußten aus forschungsökonomischen Gründen in Kauf genommen werden. Das Gesamtdesign hat jedoch den Vorteil, daß auf Basis der qualitativen Befunde Mängel der quantitativen Verhaltensdaten aufgedeckt und in die verkehrswissenschaftliche Diskussion eingebracht werden können (vgl. nächster Abschnitt).

Ausgewählte Ergebnisse

Obwohl es wissenschaftlich nicht legitim ist, qualitative Ergebnisse quantitativ auszuzählen, soll – im Sinne einer Heuristik – doch auf eine bemerkenswerte Tatsache hingewiesen werden: Ein interessantes Resultat der Auswertung der Verkehrstagebücher betrifft die Anzahl von Wegen, die mit dieser Methode ermittelt wurden. Die durchschnittliche Wegezahl pro Tag liegt danach mit einem Wert von 5,0 für Freiburg und 4,5 für Schwerin sehr viel höher als der üblicherweise in der Verkehrsforschung behauptete Wert von etwa 3, der mit Hilfe der etablierten Stichtagsmethode ermittelt wird. Interessant daran ist die Tatsache, daß auch die Ergebnisse anderer Projekte, in denen mit der Tagebuchmethode gearbeitet wurde, in eine ähnliche Richtung weisen: Heike Klamp kommt in einer Untersuchung mit 39 Befragten in Frankfurt auf 5,4 Wege pro Tag (Klamp 1992), Gisela Stete ermittelte bei einer Untersuchung mit 108 TeilnehmerInnen in Darmstadt sogar 6,3 Wege pro Tag.

Definiert man die genannten Untersuchungen als »heuristisches Sample« mit 237 TeilnehmerInnen, kommt man auf einen Durchschnittswert von 5,3 Wegen die jede/r Befragte täglich geht oder fährt.

Es können zumindest begründete Zweifel an dem in der verkehrswissenschaftlichen Debatte kursierenden Wert von 3 Wegen pro Tag angemeldet werden (vgl. Emnid 1989).

Solange es keinen großangelegten, repräsentativen Methodenvergleich gibt, gehen wir davon aus, daß die jeweils unterschiedliche ermittelte Wegeanzahl stark von der verwendeten Methode abhängt. Warum erfaßt – zumindest nach der in unserem Projekt angewandten Methode – ein Tagebuch mehr Wege?

  • Weil die InterviewerInnen hinsichtlich der gesamten Wegeproblematik geschult werden;
  • weil die Befragten von diesen InterviewerInnen ausführlich und persönlich angeleitet werden;
  • weil ihre Motive durch eine finanzielle Belohnung unterstützt werden;
  • weil die Tagebücher am Ende der 2 Wochen von den gleichen Personen abgeholt, auf Plausibilität untersucht und erst dann die Belohnung ausgezahlt wird;
  • weil ein längerfristiges Tagebuch eine Routinisierung der Wegenotizen und eine Gewöhnung an das Notieren auch kurzer Fußwege ermöglicht – Fußwege, die bei dem blitzlichtartigen Stichtagsverfahren vergessen werden.

Ergebnisse der quantitativ-repräsentativen Forschungsphase: Erosion des automobilen Leitbildes?

Zunächst kann als Resultat der Befragung in den beiden Modellstädten Freiburg und Schwerin festgehalten werden: Zwar äußert sich eine Mehrzahl der Befragten in beiden Städten positiv zum Auto, aber die These einer unangefochtenen Hegemonie des automobilen Leitbildeskann so allenfalls für Schwerin als bestätigt gelten. In Freiburg gibt es deutliche Hinweise, daß eine Eindämmung der automobilen Vorrangstellung zumindest begonnen hat. Zwar verbinden sich in beiden Städten Spaß- und Genußmotive mit dem Auto (67 % in Freiburg und 83 % in Schwerin fahren »gerne« oder »sehr gerne« Auto). Zwar meint eine Mehrheit, wer Kinder habe, brauche »unbedingt ein Auto«, aber bereits die auf Vernunftgründen zielende Aussage »Unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten lohnt sich für mich das Auto«erhält in Freiburg nur noch 36 % Zustimmung (Schwerin 57 %).

Trotz dieser Zweifel geben 59 % der Befragten in Freiburg an, ein eigenes Auto zu besitzen (Schwerin: 71 %). Darüber hinaus benutzen noch 9 % in Freiburg und 2 % in Schwerin ein Auto, das sich im Haushalt befindet, aber den Befragten nicht selbst gehört. Als Verkehrsmittelist die Dominanz des Autos also keineswegs »eingedämmt«. Das wird auch an dem geringen Prozentsatz derer deutlich, die nach eigenen Angaben nie ein Auto benutzen: 19 % in Freiburg und 8 % der Befragten in Schwerin (befragt wurden Personen ab einem Alter von 14).

Durchweg zeigen allerdings die Befragten in Schwerin eine größere Identifikation mit dem Auto als in Freiburg.

Keine neue Erkenntnis ist die Tatsache, daß die Affinität zum Automobil bei Männern stärker ausgeprägt ist als bei Frauen und daß Frauen das Auto nicht so oft benutzen wie Männer. Frauen gehen nicht nur häufiger, sondern auch lieber zu Fuß.

Unsere Ergebnisse zur Verkehrsmittelnutzung weisen jedoch hinsichtlich der Trends wieder einige wichtige Unterschiede auf: In Schwerin hat – insbesondere seit der Wende – der Anteil des Autos an der Fortbewegung kontinuierlich bis heute zugenommen. Während 1972 an einem durchschnittlichen Werktag nur 4 % aller Wege am Steuer eines Autos zurückgelegt wurden, waren es 1982: 8 %, 1987: 14 %, 1991 bereits 20 %, 1992 dann bereits 29 % und nach der von uns 1995 durchgeführten Untersuchung 36 %.

Demgegenüber verzeichnet Freiburg seit einigen Jahren keine Steigerung der Autonutzung mehr. 1989 waren es 32 %, die als »Selbstfahrer« das Auto wählten, 1992: 31 % und nach unserer Erhebung 1995 wieder 32 % (dabei liegen Schwankungen um 1 % im Bereich der für diese Stichprobengröße normalen Fehlertoleranz).

Zwar sinkt in Schwerin auch der Zufuß-Anteil kontinuierlich, aber er liegt mit jetzt 32 % immer noch höher als der von uns für Freiburg erhobene von 28 %.

Zentrale Elemente des automobilen Leitbildes

Wird gefragt, welche Faktoren es eigentlich sind, die – trotz aller Zweifel – dem Auto eine so zentrale Rolle einräumen, dann kann – etwas verkürzt – für unsere beiden Modellstädte gesagt werden:

In Schwerin ist das Auto weniger ein Symbol des Status als vielmehr ein zentraler symbolischer Ausdruck für die gesellschaftliche Integration. Autobesitz und Autofahren drücken die Zugehörigkeit zum Kernbereich der Gesellschaft aus. Dieser Kernbereich wird nicht durch einen Oben-Unten-Maßstab abgebildet, sondern eher durch die Metapher »drinnen« vs. »draußen«. In einer gesellschaftlichen Situation, die durch eine ständige Marginalisierungsbedrohung gekennzeichnet ist, signalisiert der Autobesitz, daß man sich noch in der Mitte der Gesellschaft befindet und nicht am Rand.

In Freiburg symbolisiert das Auto stärker die potentielle Flucht aus dem Alltag und die Möglichkeit spontaner Ortsveränderungen. Das Auto erscheint als »kleine Freiheit«, die als individuelle Selbstverwirklichung vor allem in der Freizeit erlebt wird.

Schließlich ist das Auto in beiden Städten – in unterschiedlichem Maße in unterschiedlichen sozialen Gruppen – ein Vehikel für das Erleben von Abenteuer, Risiko und Abwechslung. Dabei ist erstaunlich, daß innerhalb der Faktorenanalyse, die sich nur auf die Subgruppe der AutofahrerInnen bezog, jener Faktor die stärkste Varianzaufklärung aufwies, der das »Bekenntnis zu Risiko und Aggression« charakterisierte.

Die ökologische Kritik am Automobil

Unsere Befragung sollte auch klären, welche Resonanz die ökologische Kritik am Automobil in den beiden Städten hat. Unsere Ergebnisse zeigen, daß generalisierend autokritische bzw. moralisch anklagende Statements auch in einer Stadt wie Freiburg, die den Ruf einer »Ökostadt« hat, nur wenig Zustimmung erfahren.

Das bewußt normativ formulierte Statement »Wer Auto fährt, begeht ein Verbrechen an der Umwelt« erhält in Freiburg 18 % Zustimmung (»trifft ganz genau zu«: 5 %, »trifft eher zu«: 13 %) in Schwerin 10 % (»trifft ganz genau zu«: 3 %).

Der Aussage »Autofahren macht mir ein schlechtes Gewissen« stimmen in Freiburg immerhin 25 %, in Schwerin nur 7 % ganz oder überwiegend zu.

Neben dieser Abschätzung des »ökomoralischen« Potentials interessierte uns aber auch die Frage, inwieweit sich AutofahrerInnen mit der Möglichkeit auseinandersetzen, Fortbewegung von Automobilität zu entkoppeln.

Die Aussage »Ich überlege mir ernsthaft, das Auto abzuschaffen« erreichte überraschend geringe Zustimmungswerte:

Freiburg Schwerin
trifft eher zu 7 % 6 %
trifft ganz genau zu 4 % 1 %

Andererseits: Wenn es gelänge, diese 4 % in Freiburg tatsächlich zur Autoabschaffung zu bewegen, gäbe es 4600 Autos weniger in der Stadt – immerhin eine Schlange von 18 km.

Statements, die denselben Zusammenhang etwas allgemeiner ausdrücken, erhalten deutlich höhere Zustimmungswerte. So z.B. die folgende Aussage (die allen Befragten vorgelegt wurde): »Wenn wir mit dem Umweltschutz wirklich ernst machen wollen, müssen wir uns alle vom Auto verabschieden«.

Freiburg Schwerin
trifft eher zu 8 % 6 %
trifft ganz genau zu 27 % 15 %

Für die Mehrheit der Befragten geht es offenbar nicht um »den Abschied vom Auto«, sondern um die Lösung der Probleme, die mit dem Auto zusammenhängen.

Akzeptiert wird von einer Mehrheit aller Befragten – das zeigen auch die Ergebnisse anderer Studien – ein Tempolimit auf der Autobahn. Aber bereits die etwas weitergehende Forderung nach einer generellen Verlangsamung des Autoverkehrs wird mehrheitlich zurückgewiesen. Eine große Mehrheit der Befragten ist sich »sicher, daß die Umweltprobleme, die das Auto verursacht, bald technisch gelöst sind« (summierte Zustimmung in Freiburg 66 %, in Schwerin 79 %).

Das Image der nichtautomobilen Verkehrsmittel

Die Straßenbahn

Das Image des ÖPNV – und insbesondere der Straßenbahn – ist in beiden Städten recht gut (vgl. Graphik). Beispielsweise wird der Aussage »Die Straßenbahn ist dem Auto in der Stadt überlegen« in erstaunlich hohem Maße zugestimmt:

Summierte Zustimmung in Freiburg 81 %, in Schwerin 65 %. Trotz dieser Einsichten nutzen die FreiburgerInnen den ÖPNV nicht häufiger als die Befragten in Schwerin. Mit einem Werktagsanteil von 16 % in Freiburg und 18 % in Schwerin, bezogen auf alle Wege, sind die Anteile in beiden Städten etwa gleich. Allerdings kennzeichnet der 18-%-Wert in Schwerin den gegenwärtigen Stand einer Abwärtsbewegung von einst 34 % in der Vorwendezeit!

Wichtigster Minuspunkt der Straßenbahn ist – vor allem aus Sicht der befragten Frauen – immer noch das Gefühl der Ungeschütztheit und Bedrohlichkeit des öffentlichen Raumes bei nächtlichen Wegen mit der Straßenbahn.

In Schwerin wird die Straßenbahn außerdem als teure Form der Fortbewegung empfunden. Dies geht – wie die Gespräche der ersten Forschungsphase zeigten – häufig auf eine Fehleinschätzung der realen Kosten der Autonutzung zurück, aber auch auf eine Preissteigerung, für die nicht Städte aus den alten Bundesländern, sondern der Pfennigbetrag aus der Vorwendezeit der Vergleichsmaßstab ist.

Fahrrad

Es war eine der Forschungshypothesen der qualitativen Forschungsphase, daß die neuen Spielarten des Fahrrads ein wichtiges Element für den allmählichen Wandel der Mobilitätsleitbilder darstellen. Die Repräsentativbefragung bestätigt dies: Nutzungs-, Symbolisierungs- und Erlebnismöglichkeiten, die früher motorisierten Fahrzeugen vorbehalten waren, werden insbesondere in Freiburg auf das moderne Zweirad übertragen:

  • eine personalisierte Beziehung zum Fortbewegungsmittel,
  • das Erleben von Freiheit und Unabhängigkeit,
  • Geschwindigkeitsgenuß/-rausch,
  • Risikoerlebnis,
  • Technikfaszination,
  • Off-road-Abenteuer.

Bei der Nutzung des Zweirades im Alltag liegen die Werte Freiburgs signifikant höher als in Schwerin: Nach unseren Ergebnissen wird das Fahrrad in Freiburg bei 17 % aller Wege an Werktagen genutzt, in Schwerin aber nur bei 4 % (bei Verwendung eines jahreszeitlichen Gewichtungsfaktors kommen wir in Freiburg sogar auf einen Wert von 20 %).

Neben einer großen Akzeptanz des Radfahrens belegen die Ergebnisse aber auch, daß die unterschiedlichen Fahrstile auf relativ engem Raum zunehmend zu Konflikten führen. In beiden Städten stimmt die Mehrheit der Befragten der Ansicht zu, daß sich immer mehr Radfahrer »äußerst rücksichtslos« verhielten. Etwa ein Drittel fordert deshalb, daß auch bei Radfahrern eine Nummernschildpflicht eingeführt wird.

Für eine ökologisch orientierte Verkehrspolitik wird es wichtig sein, das Radfahren weiter zu fördern, gleichzeitig aber zu verhindern, daß der neue Typ des risiko-orientierten Radfahrers den insgesamt guten Ruf der Radfahrer zu sehr beschädigt.

Mobilitätstypen

Der wichtigste multivariate Auswertungsschritt war die Durchführung einer Clusteranalyse zur Identifikation von Mobilitätstypen in den beiden Städten. Zunächst allein auf Basis der Mobilitätsorientierungen und noch ohne Einbezug des Verhaltens wurden für beide Städte per EDV Typologien gerechnet (siehe Torten-Graphik).

Kurzcharakterisierung der Mobilitätstypen in Freiburg

  1. Die traditionell Häuslichen
    Häuslicher familien- und sicherheitsorientierter Typus, der sich hauptsächlich dadurch auszeichnet, keine pointierten oder aber sehr traditionelle Orientierungen zu vertreten. Ältere und Frauen sind überrepräsentiert, ebenso wie die unteren Bildungsabschlüsse. Es gibt in dieser Gruppe überdurchschnittlich viele RentnerInnen und Hausfrauen.
  2. Die risikoorientierten Autofans
    Aufstiegs- und leistungsorientierter Typus, der sich zu Risiko und gelegentlicher Aggression beim Autofahren bekennt. Das Auto ist Symbol der Unabhängigkeit und der Flucht aus dem Alltag. Den Spaß an Risiko und Abwechslung kann diese Gruppe auch mit dem Fahrrad erleben. Ein Typus, der den vollerwerbstätigen Mann mittleren Alters repräsentiert (höchster Männeranteil aller Mobilitätstypen: 90 %).
  3. Die statusorientierten Automobilen
    Prestigeorientierter Typus, der das Auto als Statussymbol schätzt, aber auch weil bei allen anderen Fortbewegungsformen ein hoher Grad an Verunsicherung vorherrscht. Beim Radfahren und Zufußgehen dominieren eher Empfindungen der Bedrohung. Zudem gibt es eine Abneigung gegen die Situation als Fahrgast im ÖPNV. Frauen sind in dieser Gruppe leicht überrepräsentiert (Anteil: 65 %).
  4. Die traditionell Naturorientierten
    Typus mit traditioneller Grundorientierung, für den das Naturerleben im Vordergrund steht. Die Angehörigen dieser Gruppe bewegen sich gerne und überdurchschnittlich häufig zu Fuß fort. Umso intensiver wird die Ungeschütztheit im Straßenverkehr erlebt. Die Straßenbahn wird zwar sehr geschätzt, aber nächtliche Wege werden als besonders bedrohlich empfunden.
  5. Die ökologisch Entschiedenen
    Diese eher junge und für neue Technik aufgeschlossene Gruppe ist fahrradbegeistert und lehnt das Autofahren aus ökologischen Gründen ab. Wenn Autos dennoch benutzt werden, was selten geschieht, befindet sich dieser Typus in Widerspruch mit sich und seinen hohen Ansprüchen an ein umweltfreundliches Alltagsverhalten. Das Fahrrad, aber auch die Straßenbahn, wird weit überdurchschnittlich benutzt.

Kurzcharakterisierung der Mobilitätstypen in Schwerin

  1. Die verunsicherten Statusorientierten
    Ein überdurchschnittliches Einkommen ist das einzige, was diese Gruppe soziodemographisch vom Durchschnitt der Befragten unterscheidet. Hinsichtlich der Orientierungen handelt es sich um einen autoritäts- und familienorientiertenTypus, der das Auto als rationales Transportmittel schätzt, aber eine gewisse Verunsicherung im Straßenverkehr erlebt. Risikoreiches und schnelles Fahren wird abgelehnt. Radfahren wird als gefährlich, die Situation als Fahrgast im ÖPNV als unangenehm erlebt.
  2. Die mobilen Erlebnisorientierten
    Hedonistischer, erlebnishungriger Typus, der alle Formen der Mobilität so praktiziert, daß sie Abwechslung und Spaß bringen. Dies gilt auch und insbesondere für das Zufußgehen. Das Auto wird ebenso wie das Fahrrad nicht als rationale Notwendigkeit, sondern als Mittel für die Erlebnis-Intensivierung genutzt. Es handelt sich um eine sehr junge Gruppe, in der männliche Facharbeiter überrepräsentiert sind.
  3. Die unauffälligen Umweltbesorgten
    Das Verhältnis zum Auto ist in dieser Gruppe ambivalent. Ökologische Argumente sind wichtig, aber die Schutzfunktion des Autos – insbesondere gegen nächtliche Bedrohung – ebenso. Frauen und Ältere, Nichterwerbstätige und RentnerInnen sind überrepräsentiert.
  4. Die aggressiven Autofahrer und Autofahrerinnen
    Berufsorientierter Typus, der sich zu seiner Autoliebhaberei und zum risikoreichen und aggressiven Fahren bekennt. Das Auto ist aus Sicht dieser Gruppe eine wichtige Bedingung, aber auch ein Symbol der gesellschaftlichen Zugehörigkeit. Ein Typus, der aus seiner Abneigung gegen Radfahrer keinen Hehl macht. Männer sind mit 67 % Anteil leicht überrepräsentiert ebenso wie Vollerwerbstätige mit höherer beruflicher Stellung.

Mobilitätsstile

Wie sind nun diese Ergebnisse zu bewerten?

Untersucht man die 9 in den beiden Städten identifizierten Mobilitätstypen auf die dahinter sichtbaren Grundorientierungen, dann verdichten sich die Befunde auf folgende Dimensionen:

Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz vor Bedrohung

Diese Dimension zeigt sich zum einen als Zurückhaltung gegenüber und Furcht vor »nichtkarossierten« Fortbewegungsarten wie Fahrrad oder Zufußgehen; zum anderen aber auch als Vermeidung dichter sozialer Situationen der Fremdheit – z.B in der Straßenbahn. Bestandteil dieses Orientierungsmusters ist auch ein vom Durchschnitt abweichendes Verhältnis zur Geschwindigkeit: Deutlich wird ein Bedürfnis nach Verlangsamung und mehr Ruhe im Straßenverkehr, ohne daß ökologische Motive eine zentrale Rolle spielen.

Suche nach Risiko, Abwechslung und Abenteuer

Dieses Orientierungsmuster zeigt sich in zwei klar unterschiedlichen Ausprägungen: Zum einen als klassische Auto- und Technikliebhaberei. Man (Mann) bekennt sich zu risikoreichem Fahren, aggressiv getönter Lust am Wettbewerb auf der Straße. Das Auto ist ein Symbol von Freiheit, Individualität und Selbstbestimmung – aber auch der Leistungsgesellschaft.

Zum anderen zeigt sich diese Orientierung in einer hedonistischen Variante, die nicht auf das Auto festgelegt ist, es aber auch nicht ausschließt. Es handelt sich um eine überwiegend jugendliche Form von Genußsuche, deren Repräsentanten jede Fortbewegungsform – auch das Zufußgehen – in einen freizeit- und spaßorientierten Lebensstil zu integrieren versuchen.

Soziale Positionierung

In der zurückhaltend-angepaßten Variante geht es um das Bedürfnis nach sozialer Angemessenheit, z.B. des Verkehrsmittels oder auch des spezifischen Autotyps. Es ist (insbesondere in der ehemaligen DDR) wichtig, sich sozial angemessen zu positionieren.

In der geltungsbedürftigen Variante geht es dagegen gerade um Distinktion, um stilistische Abgrenzung. Dies ist – in der Sphäre der Mobilität – mittels schöner High-Tech-Fahrräder genauso möglich wie mit dem passenden Auto.

Die Orientierung am Naturerleben zeigt, daß »Umwelt« und »Natur« nicht beliebig austauschbare Bewußtseinsgrößen sind, wie es die Einstellungsforschung glauben machen will, sondern Sphären, die sowohl das Verhältnis zur eigenen Natur des Körpers als auch zur äußeren Natur und die Wechselwirkung zwischen beiden betreffen.

Eine solche Orientierung kann zwar mit ökologischer Kritik einhergehen, aber im Zentrum steht der positive Selbstbezug, der Genuß, das Erleben der Natur. Im Bereich der Mobilität hat dies z.B. Auswirkungen auf bevorzugte Verkehrsmittel. Diese Präferenzen werden aber nicht als Verzicht (z.B. auf das Auto) erfahren, sondern z.B. als Erlebnis einer den menschlichen Sinnen angemessenen Geschwindigkeit, z.B. beim Zufußgehen.

Insofern haben die Vertreter eines rational-choice-Ansatzes zur Erklärung des Verkehrsverhaltens zugleich recht und auch wieder nicht: Es stimmt, daß Verhaltensveränderungen immer einen Nutzen, einen Zugewinn bringen müssen, daß also normative Gründe nicht entscheidend sind. Aber bei diesem Nutzen kann es sich durchaus um einen symbolischen oder »sozio-emotionalen« (Heine) handeln. Und dieser »Nutzen« ist lebensstilspezifisch jeweils unterschiedlich definiert. Was in der einen Gruppe ein Gewinn ist (z.B. hohe Geschwindigkeit) ist in der anderen ein Streßfaktor (Graphik)

Mobilitätsorientierungen und Verkehrsverhalten

Bei der Frage nach dem Verkehrsverhalten muß zunächst angemerkt werden, daß in die Clusterbildung der Typologie ausschließlich Faktoren der Mobilitätsorientierung, also inhaltliche Variablen zum Thema Auto, Fahrrad, ÖPNV und Zufußgehen konstituierend eingegangen sind. Die Daten des Verkehrsverhaltens wurden also erst gerechnet, als die Typologien auf Basis der inhaltlichen Dimensionen bereits feststanden. So entstand ein echter Hypothesentest.

Als Ergebnis kann festgehalten werden: Die Hypothese eines negativen Zusammenhangs zwischen Orientierung und Verhalten – die ja in der Umweltdebatte eine hervorragende Rolle spielt – lässt sich (in ihrer Pauschalität) nicht halten. Im Gegenteil: Die hier nur in ihren wesentlichen Dimensionen dargestellten Mobilitätstypen zeigen signifikante Unterschiede bei den Indikatoren des Verkehrsverhaltens.

So saß z.B. der »ökologisch entschiedene« Typus in Freiburg werktags nur bei 10 % aller Wege am Steuer eines Autos (dazu kommen weitere 5 % motorisierter Individualverkehr durch Fahrten auf dem Beifahrersitz und mit dem Motorrad). Dagegen sitzen die »risikoorientierten Autofans« bei 56 % aller Wege am Steuer eines Autos (bei Einbezug der Fahrten als BeifahrerIn und mit dem Motorrad ergibt sich ein Gesamtwert-MIV von 62 %).

Die aggressiven Autofahrer und Autofahrerinnen in Schwerin nutzen das Auto gar für 65 % aller Wege (MIV: 69 %), die unauffälligen Umweltbesorgten jedoch nur für 19 %. Werden zusätzlich die zurückgelegten Entfernungen berücksichtigt und mit der Wegeanzahl multipliziert, so ergibt sich die für ökologische Schadwirkungen relevante Verkehrsleistung. Dabei wird deutlich, daß die risikoorientierten Autofans 84 % der Verkehrsleistung mit Hilfe des motorisierten Individualverkehrs erbringen und nur 16 % mit den Alternativen zum Auto: dem ÖPNV, dem Fahrrad oder zu Fuß. Die Gruppe der ökologisch Entschiedenen erbringt dagegen 62 % der Verkehrsleistung mit diesen Verkehrsmitteln, aber nur (bzw. immerhin noch) 38 % mit Auto oder Motorrad.

Diese Ergebnisse belegen: Im Gegensatz zu der in der Umweltbewußtseinsforschung häufig vertretenen Behauptung einer generellen Kluft zwischen den Orientierungen und dem Verhalten, handelt es sich um zusammenhängende Muster.

Diese je nach Mobilitätstyp unterschiedliche Konstellation von Mobilitätsorientierung, Lebensstil und Verkehrsverhalten bezeichnen wir als Mobilitätsstil. Sie ist für uns der Ansatz für die Entwicklung von zielgruppenspezifischen Strategien (2 Graphiken).

Fazit

Der Versuch, eine ökologisch und zugleich urbane Verkehrspolitik zu planen und zu fördern, hat nur dann Erfolgsaussichten, wenn die geschilderten, häufig als »weich« bezeichneten, tatsächlich aber stark wirksamen Faktoren berücksichtigt werden. Dazu müssen die wichtigsten Akteure der Alltagsmobilität mit sozialwissenschaftlichen Methoden identifiziert und ihre Handlungsmotive untersucht werden. Erst dann wird es möglich, sie bei der Planung von Maßnahmen zu berücksichtigen und als Zielgruppen für eine Einflußnahme (auch mit kommunikativen Mitteln) zu verstehen. Dabei ist nicht – wie oft behauptet – die Kluft zwischen »Einstellung und Verhalten« das Problem, sondern die Tatsache, daß es signifikant unterschiedliche Gruppen gibt, deren differierende Bedürfnisse im Rahmen traditioneller Verkehrspolitik nur um den Preis schwieriger Kompromisse miteinander vereinbart werden können: Erstens finden wir Gruppen, deren Lebensstil kaum von räumlicher Mobilität geprägt ist – soziale Mobilität ist weitgehend von räumlicher Fortbewegung entkoppelt. Zum zweiten gibt es Gruppen, deren soziale Mobilität mit räumlicher Fortbewegung verkoppelt ist, und diese zudem noch mit Automobilität. Diese Gruppe wird sich den Maßnahmen zur Reduzierung der Autonutzung entgegenstellen. Und drittens gibt es soziale Gruppen, die bereit und in der Lage sind ohne Auto mobil zu sein. Hinsichtlich dieser Gruppe gibt es nur ein Problem: Die Handlungspotentiale sind bisher noch nicht ausreichend aktiviert worden – nur ein zielgruppenspezifisches Vorgehen kann dies leisten.

Zum Autor

Konrad Götz, Frankfurt/Main, Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE)

Anmerkungen

  1. Das Projekt wurde innerhalb des ISOE außerdem von Dr. Thomas Jahn und Dr. Irmgard Schultz bearbeitet.
  2. Der Verbund City-Mobil setzt sich aus den 5 Instituten ISOE Frankfurt, Öko-Institut Freiburg/Berlin, Contract Karlsruhe, IVU Berlin und Österreichisches Ökologie Institut Wien zusammen.
  3. »Stadtverträgliche Mobilität« kennzeichnet das aus der Nachhaltigkeitsdebatte bekannte Ziel, die Mobilitätsbedürfnisse der Stadtbevölkerung ökologisch und sozial verträglich, zugleich aber auch ökonomisch effizient zu befriedigen.

Literatur

Becker 1996
E. Becker: Risiko Gesellschaft. In: Universitas, Bd. 596, 1996. S. 176
Bourdieu 1982
P. Bourdieu: Die feinen Unterschiede. 1982. Frankfurt a.M.
Emnid 1989
Emnid: Kontiv. Bielefeld. 1989.
Flaig et al.
B. Flaig, T. Meyer, J. Ueltzhöffer: Alltagsästhetik und politische Kultur. Bonn, 1993
Frank und Stete 1994
Frank und Stete (Büro für Stadt- und Verkehrsplanung): Mobilität und Sicherheit von Frauen im ÖPNV. 1994. Frankfurt a.M.
Heine 1995
W.-D. Heine: Verkehrsmittelwahlverhalten aus umweltpsychologischer Sicht. In: Internationales Verkehrswesen, Bd. 47, 1995
Jahn et al. 1995
Th. Jahn, I. Schultz: Stadt, Mobilität und Lebensstile – ein sozial-ökologischer Forschungsansatz. In: H. Sahner, S. Schwedtner (Hg.): 27. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Opladen, 1995
Klamp 1992
H. Klamp: Frauenwege – Männerwege: Räumliche Mobilität als Notwendigkeit. Frankfurt am Main, 1992
Schultz 1995
I. Schultz: Frauenwege – Männerwege. In: Stadtwege – City-Mobil-Forschungsverbund, 1995. S. 36–40
Spiegel 1993
Spiegel: Socialdata: Alltagsmobilität. In: Auto, Verkehr und Umwelt, 1993
Stete 1996
G. Stete: Mobilität von Frauen in unterschiedlichen Lebenssituationen. Darmstadt, 1996