Ausgabe 11 · April 2010

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Der lange Weg zum Ledersattel

von Jürgen Schulz

Fahrrad fahren kann ich seit meinem fünftem Lebensjahr, also seit mittlerweile über 40 Jahren. Seit ca. 30 Jahren mache ich es bewusst. Damals wurde mir klar, dass ein Fahrrad weit mehr als nur ein Spiel- und Sportgerät ist. Ich hatte begriffen, dass ein Fahrrad ein Verkehrsmittel ist. Aufgrund dieser Erkenntnis entschied ich mich dann auch gegen ein Mofa oder Moped und für mein Hercules Fahrrad. Gleichzeitig entdeckte ich das Fahrrad als Sportgerät. Zu meinem sechzehnten Geburtstag (Anfang 1980) bekam ich ein Viner Rennrad mit dieser wunderschönen verschnörkelten Shimano 600er-Ausstattung geschenkt. Damit ließ ich die Mofafahrer locker hinter mir und die Mopedfahrer ärgerte ich, indem ich mich in ihrem Windschatten mitziehen ließ. Seit dieser Zeit bastele ich ständig an meinen Fahrrädern herum um sie für mich zu optimieren.

Das Problem: Mensch-Sattel-Schnittstelle

An der Kontaktstelle zwischen mir und dem Sattel ergab sich im Laufe der Jahre eine Dauerbaustelle. Diese bereitete mir sehr lange Unannehmlichkeiten und kostete mich auch viel Zeit und Geld. Dazu muss ich noch anmerken, dass ich auf dem Fahrrad immer noch eine sportliche Haltung bevorzuge (ca. 45 Grad nach vorne gebeugt). Mein Dammbereich wird dadurch bei längeren Radtouren stärker belastet und dann irgendwann taub. An dem oberen Bereich dieser Kontaktstelle lässt sich leider nicht viel verändern. Das Sitzfleisch lässt sich bis zu einem gewissen Grad trainieren, aber der Dammbereich ist und bleibt die Schwachstelle. Auf der anderen Seite dieser Kontaktstelle habe ich bestimmt weit mehr als 20 verschiedene Sättel ausprobiert. Angefangen hat es mit reinen Nylon-Sätteln, darauf folgten welche mit Lederüberzug (z. B. San Marco Concor). Danach wurden mehrere mit Schaumstoff aufgepolsterte Modelle ausprobiert (z. B. Selle Italia Turbo). Das Sitzgefühl verbesserte sich, aber eine endgültige Lösung des Problems war bis dahin nicht dabei.

In den 90er-Jahren mutierte ich mehr und mehr zum Autofahrer, mit den entsprechenden Konsequenzen. Mein Gewicht stieg, das Sitzfleisch verweichlichte und mit der Dauerbaustelle Sitzfläche wurde es dadurch noch ärger. Als Radfahrer wechselte ich in dieser Zeit vom Rennrad als Standardrad zum Wanderrad (in Denglisch Trekkingrad genannt). Als die Gelsättel auf den Markt kamen, habe ich diese natürlich ebenfalls ausprobiert. Für meine Spazierfahrten mit dem Fahrrad brachten sie die erhoffte Linderung. Lange Zeit habe ich deshalb gedacht, damit nun endlich die Lösung gefunden zu haben. Nach zwei Bandscheibenvorfällen in den Jahren 1999 und 2000 musste ich unbedingt Gewicht abbauen und wieder Sport treiben. Ich baute mir ein neues, besseres Wanderrad zusammen und für mein Rennrad kaufte ich einen Rollentrainer. Aber als meine Strecken immer länger wurden, haben sich meine Gelsättel sehr schnell als untauglich herausgestellt. Auf Dauer war der Druck auf meinen Dammbereich trotz bzw. gerade durch das Gelpolster doch zu hoch. Ich wechselte wieder zu den Kunststoff-Sätteln mit Leder- oder Lorica-Überzug, die ja zwischenzeitlich ergonomisch optimiert worden waren. Mein Heimtrainer war meine Teststation. Dort habe ich mit allerlei Sätteln herumprobiert. Selbst ein Sattel ohne Nase (SQ-Lab Easyseat) wurde von mir ausprobiert und ganz schnell wieder aussortiert. Kein Druck im Dammbereich, aber auch Null Seitenhalt. Danach war ich mit meinem Latein am Ende. Hatte ich doch alle Arten von Sätteln ausprobiert und noch immer keine bequeme Lösung gefunden.

Die Wiederentdeckung des Kernledersattels

Hatte ich wirklich alle Arten von Sättel probiert? Nein! Um eine Art von Sätteln hatte ich immer einen großen Bogen gemacht. Anfang der 80er-Jahre waren Kernledersättel antiquiert und etwas für »alte Säcke«. Sie kamen für mich allein schon aus optischen Gründen nicht in Frage. Retro war damals noch nicht schick. Aber auch weil sie so kompliziert sind: Kernledersättel dürfen nicht nass werden, müssen eingefettet und gespannt werden und vor allen Dingen müssen sie »eingeritten« werden. Mein Vater hatte schon seit vielen Jahren einen Brooks-Sattel an seinem Wanderfahrrad. Er hat ihn nie gepflegt und deshalb sieht er auch ziemlich vergammelt aus. Da ich mittlerweile selber ein »alter Sack« geworden bin, wollte ich nun doch mal so einen Brooks-Sattel ausprobieren. Die Bewährungsprobe musste er ja nicht gleich bei einer Radtour bestehen. Aus Furcht vor den Qualen beim Einreiten hatte ich mich für einen bereits vorgegerbten Brooks-Sattel Modell B17 Aged entschieden.

Bild 1: »Brooks B17 Aged« an meinem alten Wanderrad

Diesen montierte ich an mein Trainingsrad, das auf einer Tacx-Rolle steht. Wie bei den Gelsätteln hatte ich mit dem Brooks von Beginn an ein gutes Sitzgefühl. Aber dass musste ja nichts heißen, da sich die Gelsättel ja erst bei längeren Touren als untauglich erwiesen hatten. Aber erstaunlicherweise blieb dieses gute Sitzgefühl auch bei längerer Benutzung bestehen. Daraufhin wurde der Sattel von mir an mein Wanderrad montiert. Von nun an konnte ich weitaus längere Strecken ohne große Beschwerden fahren und musste weniger Pausen zur Wiederbelebung meines Dammbereiches machen.

Jetzt brauchte ich wieder einen Sattel für mein Trainingsrad. Ich wurde mutiger und kaufte mir einen B17 Standard-Sattel (nicht »aged«) in schwarz. Der war am Anfang längst nicht so bequem wie der vorbehandelte Sattel. Es brauchte ca. 1.000 km, bis dieser sich so an mich angepasst hatte, wie es der vorbehandelte Sattel von Beginn an getan hatte. Dieser Sattel wurde von mir an mein neues Wanderrad montiert, das ich mir im Spätherbst 2008 gegönnt hatte. Nach nun weiteren 1.800 km ist dieser Sattel besser an mich angepasst als der vorbehandelte. Dieser hat erst gut 1.000 km auf dem Buckel. Mittlerweile sitze ich gerade den dritten B17-Sattel ein. Ich hatte mich wieder für einen schwarzen B17 Standard für mein Trainingsrad entschieden. Dieser hat jetzt ca. 1.600 km auf der Rolle hinter sich, ist zweimal eingefettet und gespannt worden und ist gerade dabei, richtig bequem zu werden. Er wird noch mindestens 400 km brauchen, um mit dem vorgegerbten Sattel gleichzuziehen. Hätte ich damals von dem Modell B17 »Imperial« schon gewusst, hätte ich mir diesen gekauft. Dieses Modell ist in der Mitte ausgeschnitten, um den Druck im Dammbereich noch mehr zu mindern.

Bild 2: »Brooks B17 Standard schwarz« an meinem neuen Wanderrad nach mittlerweile 3.000 km

Alltagstauglichkeit und Pflege

Ich möchte meine Brooks-Sättel nicht mehr missen. Diese Sättel sind nichts für Sonntagsradler. Aber den Radlern, die deutlich mehr als 1.000 km im Jahr fahren, möchte ich Mut machen, mal einen Kernledersattel auszuprobieren und auch die Geduld aufzubringen, ihn »einzureiten«. Ein vorbehandelter Sattel wird recht schnell bequem, aber ca. 500 km sind auch hier nötig, damit sich der Sattel richtig anpasst. Und er muss gepflegt werden. Damit das Leder nicht rissig wird, darf er nicht nass werden (feucht schon, nur nicht durchnässt) und er muss von Zeit zu Zeit eingefettet werden. Ich tue das immer dann, wenn ich meine, dass das Leder zu trocken geworden ist.

Bild 3: Sattelüberzug eingerollt …

Das Nachspannen darf nicht vernachlässigt, aber auch nicht übertrieben werden. Auch das tue ich nach Gefühl. Ich weiß aber, dass die Spannnug nicht zu groß werden darf. Mit einem Sattelüberzug, den ich bei Nichtbenutzung in der Sattelnase verstecke, ist der Brooks-Sattel auch alltagstauglich.

Bild 4: … und in der Sattelnase versteckt

Ich benutze den Überzug aber nur, wenn ich mein Fahrrad abstelle. Während der Fahrt ist der Sattel ja durch mich und durch das hintere Schutzblech geschützt. Für Fahrräder ohne Schutzblech ist er im Regen nicht geeignet, da er von unten vom Spritzwasser nass werden kann. Und da unten ist er empfindlicher als oben. Da unten muss er ja auch eingefettet werden, die Oberseite bekommt nur einen Hauch Sattelfett ab. Man muss den Sattel schon selber einsitzen, damit er sich richtig anpasst und bequem wird. Und wenn er dann richtig »eingeritten« ist, ist er ein Unikat.

Fazit: Manchmal muss man sich quälen, um es richtig bequem zu haben!

Zum Autor

Jürgen Schulz. Indienststellung 1964, seit 1968 Radfahrer. Beruflich ans Auto gebunden, schätzt er das Fahrrad als Verkehrsmittel wie auch als Sportgerät. Unternimmt Tages- oder Mehrtagestouren, um Land und Leute intensiver zu erleben und sich körperlich zu betätigen. Und wird nie verstehen können, dass Autofahrer, sobald sie auf einem Fahrrad sitzen, zu Rambos mutieren.