Ausgabe 15 · April 2013
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Zweigangfreuden
Eine Lanze für Double-Speed-Räder
Nach langer Zeit erleben sie wieder eine Renaissance, die
Zweigang-Schaltungen. Diese Getriebeschaltungen werden entweder als
Nabenschaltungen oder als Tretlagerschaltungen angeboten (s. Übersicht in
ADFC Radwelt 3.2012). Wegen Ihrer Unauffälligkeit liegen sie im Trend zum
»einfachen« Fahrrad, dem pure bike. Insbesondere die neuen
Zweigang-Nabenschaltungen können wegen Ihres geringen Preises (unter
Fast zeitgleich bieten seit 2011 zwei Hersteller wieder Zweigang-Nabenschaltungen an: SRAM die »Automatix« und Sturmey Archer die »Duomatic«. Beide Hersteller greifen auf alte und bewährte Produkte des eigenen Hauses aus den 60er Jahren zurück, u.a. SRAM auf die legendäre Torpedo Duomatic der Vorgängerfirma Fichtel&Sachs.

Das bis 1984 gebaute Nachfolgermodell der oben abgebildeten Torpedo Zweigangnabe (R2110) wurde alternativ auch mit fliehkraftgesteuerter automatische Schaltung angeboten (Modell A2110). Wegen seiner genialen Einfachheit erfreute es sich in vielen Klapp- und Freizeiträdern großer Beliebtheit und ist noch heute als Gebrauchtnabe sehr begehrt.
Die neuen Schaltungen
Die beiden neuen Schaltnaben sind wahlweise in einer Version mit Rücktrittbremse oder mit Freilauf erhältlich und besitzen ein Übersetzungsverhältnis von ca. 1:1,37. Der entscheidende Unterschied ist die Schaltweise: Sturmey Archer bietet eine manuelle Kickbackschaltung, die durch kurzes Zurücktreten mit dem Fuß geschaltet wird.


Die SRAM-Schaltung ist als automatische Schaltung ausgelegt: Das Anfahren
erfolgt immer im 1. Gang, ab einer bestimmten Geschwindigkeit erfolgt
durch die Fliehkraftkupplung ein Hochschalten in den 2. Gang und ebenso
eine Herunterschalten bei Nachlassen der Geschwindigkeit und des
Pedaldruckes (bei ca.


Alternativ zu den Zweiganggetriebenaben, die im Hinterrad verbaut werden,
gibt es neuerdings Tretlagernaben, die ebenfall mit 2 Gängen aufwarten.
Hersteller sind die Firmen Schlumpf mit »Speed Drive« und FSA Metropolis
mit »Patterson«. Diese Naben eigenen sich jedoch wegen Ihres großen
Übersetzungsverhältnisses von
Das Zweigang-Dilemma
So umkompliziert Zweigang-Schaltungen sind: Die Zweigang-Schaltung ist in das Fahrrad übersetzungsmäßig nicht einfach einzupassen. Wegen des vergleichsweise großen Schaltsprunges und der geringen Zahl der Gänge gilt ebenso wie bei einem Eingang-Fahrrad (Singlespeed): Die Übersetzung muss stimmen. Ansonsten verliert das Fahrrad seine Alltagstauglichkeit. Stimmt die Übersetzung, dann kann man mit 2 Gängen im Flachland wunderbar einfach und bequem fahren.
Geht man davon aus, dass es zumindest im flachen Gelände je nach Radtyp und Fahrertyp einen individuellen idealen Gang gibt, der überwiegend genutzt wird, sollte bei einer Zweigang-Schaltung folgendes beachtet werden: Es ist zu vermeiden, dass dieser ideale Gang genau zwischen den beiden vorhandenen Gängen der Nabenschaltung liegt, mithin keiner der beiden Gänge für Mehrzahl der Kilometer richtig passt. Ansonsten kann es passieren, das ein dauerndes Hin- und Herschalten zwischen den Gängen erfolgt, verbunden mit wiederholtem und damit lästigen Beschleunigen (im 1. Gang) und Abfallen der Geschwindigkeit wegen zu geringer Trittfrequenz (im 2. Gang). Meistens passt dann kein Gang richtig.
Die Lösung liegt darin, die Zweigang-Schaltung konsequent zu positionieren – entweder als Schaltung mit einem Berggang (Anfahrgang) oder als Schaltung mit einem Schnellfahrgang. In der Betrachtungsweise der 3-Gang-Schaltungen ist also entweder ein 1. und 2. Gang vorzusehen oder ein 2. und 3. Gang. Um diese Entscheidung kommt man bei einer Zweigang-Schaltung nach meinen Erfahrungen nicht herum. Bei der Lösung dieses Dilemmas kann eine Analyse von Fahrradtyp und Nutzungsart hilfreich sein. Eine aufrechte Sitzposition, eine Nutzung des Fahrrades im Stadtverkehr mit Kindern, für Einkäufe oder für das Cruisen sprechen für eine kurze Übersetzung der Zweigang-Schaltung mit einem Anfahrgang. Bei einer sportlich-gebeugten Sitzhaltung und entsprechend zügiger Fahrweise z. B. auf einem Singelspeedrad ist die lange Übersetzung der Zweigang-Nabe sinnvoll.
Die ideale Übersetzung finden
Die Übersetzung eines Fahrrades ist entscheidend für seine Bequemlichkeit
und Alltagstauglichkeit. Sie wird – in Abhängigkeit von der Laufradgröße –
durch die Größe von Kettenblatt und Ritzel bestimmt, also durch die Zahl
der Zähne. Beide Zweigang-Nabenschaltungen erlauben den Einbau
verschiedener Ritzel zwischen 15 und 21 Zähnen (Sturmey Archer: 13–22), um
die Übersetzung an den Bedarf anzupassen. Die Standardlieferung erfolgt
bei SRAM mit einem 19er Ritzel und bei Sturmey Archer ohne oder mit 22er
Ritzel. Damit entspricht der 1. Gang der Zweigang-Naben demjenigen eines
klassischen Hollandrades ohne Gangschaltung, das häufig mit einem 19er
Ritzel mit einem 46er Kettenblatt ausgestattet ist. Dies führt dazu, das
ein 28″-Rad mit 1 Pedalumdrehung eine Strecke von
Die Entfaltung ist auch das entscheidende Maß für die Suche nach dem
idealen Gang. Während der Hollandrad-Fahrer mit der genannten Entfaltung
erfahrungsgemäß bequem – also mit angenehmer Trittfrequenz und
Kraftausübung – fährt, mag es der Singlespeedfahrer lieber etwas schneller
und kraftvoller. Er dürfte daher eine größere Entfaltung vorziehen,
mindestens von
Zweigang-Naben: Nutzung mit Schnellfahrgang
Geht man von einer Standardübersetzung aus, wie sie bei einem
1-Gang-Hollandrad üblich ist (also mit einer Entfaltung von
Mithin können die beiden neuen Zweigang-Naben ohne Ritzel-Modifikation angesichts der verbreiteten (Einzel-) Kettenblatt-Konstellationen mit 46 Zähnen gut in vorhandene 28″-Fahrräder integriert werden, wenn man sie als Naben mit Schnellfahrgang nutzen möchte. Bei kleineren Kettenblättern sind auch entsprechend kleinere Ritzel erforderlich. Eine individuelle Anpassung der Übersetzung (d. h. der Entfaltung) durch Feinabstimmung der Ritzelgröße oder des Kettenblattes kann den Komfort noch erhöhen.
Zweigang-Naben: Nutzung mit Anfahrgang
Möchte man die Zweigang-Nabe als Nabe mit Berg- oder Anfahrgang nutzen, so
wird der 1. Gang, der die direkte Übersetzung liefert, zum Anfahrgang. Der
2. Gang mit der Übersetzung innerhalb der Nabe wird zum Standardgang. Die
fahrradseitige Übersetzung ist entsprechend anzupassen. Dabei ist davon
auszugehen, dass für einen Anfahrgang eine Entfaltung von ca.
Zur Realisierung dieser vergleichsweise kleinen Entfaltung ist ein kleines
Kettenblatt mit ca. 35 Zähnen bei einem 19er Ritzel erforderlich. Der 2.
Gang als Normalgang hätte dann eine Entfaltung von ca.
Das folgende Entfaltungsdiagramm zeigt die möglichen Alternativen der Nutzung einer Zweigang-Nabe im Vergleich zu einem Single Speed-Rad mit Alltagsübersetzung.

Der Schaltzeitpunkt der Automatix-Nabe
Eine Besonderheit ergibt sich für die SRAM Automatix aufgrund ihrer automatischen Schaltfunktion. Entscheidend für ihre Nutzerfreundlichkeit ist einerseits die richtige Übersetzung und andererseits der optimale automatische Schaltzeitpunkt. Er liegt bei der SRAM-Nabe konstruktiv fest und ist ausschließlich geschwindigkeitsabhängig, wird also nicht durch eine Änderung der Übersetzung beeinflusst. Da der Gangwechsel fliehkraftgesteuert erfolgt, ist ausschließlich die Umdrehungsgeschwindigkeit des Laufrades entscheidend. Damit ist die Geschwindigkeit, bei der der Gangwechsel stattfindet, abhängig von der Laufradgröße. Mithin schaltet die Automatix bei kleinen Fahrrädern bei einer geringeren Geschwindigkeit hoch als bei großen Fahrrädern. SRAM berücksichtigt und kompensiert dies teilweise, indem zwei Nabenvarianten geliefert werden, eine für kleine Räder (20–24″) und eine für große Räder (konstruktiv vermutlich unterschieden durch verschieden starke Schaltfedern in der Nabe wie früher bei der Torpedo Duomatic).
Nach den Informationen des Herstellers erfolgt das Hochschalten in
26–28″-Rädern bei ca. 17–
Leider gibt es vom Hersteller auch keine einschlägigen Informationen und Empfehlungen – anders als früher zur Vorgängernabe von Fichtel&Sachs. Inwieweit die derzeitige Abstimmung hinsichtlich des Schaltzeitpunktes gelungen ist, müssen die Erfahrungen der Nutzer zeigen. Erste Eindrücke dazu sind im Internet veröffentlicht (z. B. scheunenfun.de).
Fazit
Das genial einfache Prinzip der beiden neuen Zweigang-Naben prädestiniert diese für eine Alltagsnutzung in vielen Fahrrädern. Ein Erfolg setzt aber die richtige Einpassung in die Fahrradkonzeption hinsichtlich der passenden Übersetzung voraus. Dabei ist eine Entscheidung für eine Nutzung entweder mit Schnellgang oder mit Berggang erforderlich. Hier ist nicht nur die bisher eher spärliche Informationspolitik der Hersteller gefragt, sondern auch die Sorgfalt der Erstausstatter bei der Fahrradkonfiguration sowie die richtige Kundeninformation und -beratung. Liegen diese Voraussetzungen vor, könnten die neuen Zweigang-Naben eine weite Verbreitung insbesondere in Alltags- und Stadträdern finden.
Zum Autor
Stephan Rohn,