Ausgabe 18 · April 2014

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Nur Komfort? Oberflächenqualität von Radverkehrsanlagen

von Heinz Herrmann und Wolfram Steinmetz

Wenn es im Dialog von radverkehrspolitisch Aktiven mit Verwaltungen und Kommunalpolitik um die Qualitäten der Oberflächen von Radverkehrsanlagen geht, wird dieses Thema gern als reines Komfortthema abgetan. Es ist sicher nichts Schlimmes, für die FahrradfahrerInnen mehr Komfort zu fordern oder anzubieten, indem Radverkehrsanlagen mit hochwertigen Oberflächenqualitäten ausgeführt werden. Dies schont Mensch und Fahrrad und insbesondere auch das eventuell im Kindersitz oder im Fahrradkinderanhänger mitgeführte Kind.

Energie

Doch geht es »nur« um Komfort? Jeder wird es irgend einmal bemerkt haben: Ein Großteil der FahrradfahrerInnen, egal ob jung oder älter, meidet gewisse Fahrradwege und radelt knapp daneben auf den glatteren Gehwegplatten. Gewiss geschieht dies nicht, um Fußgänger zu ärgern, sondern häufig intuitiv, weil sie oder er dort mit weniger Krafteinsatz leichter vorankommt.

Das UPI-Institut in Heidelberg hat sich des Themas »Energieverbrauch beim Fahrrad fahren« im Bericht Nr. 41 angenommen. Im Ergebnis wird u.a. nachgewiesen, dass eine in höchster Oberflächenqualität ausgeführte Radverkehrsanlage (mit einem automatisierten Straßenfertiger verarbeiteter Feinasphalt) gegenüber einer Oberfläche aus Betonverbundsteine den Energieverbrauch des Fahrradfahrers um 40 % senkt und die in realistischer Fahrzeit erreichbare Zielfläche um bis zu 50 % vergrößert. Bereits eine weniger gute, in der üblichen »Radwegqualität« nur gewalzte Oberfläche, erhöht den Energieaufwand um 20 %.

Warum ist das so? Jede Unebenheit bedingt, dass das Rad leicht angehoben und abschließend wieder abgesenkt wird. Dabei wirkt jedes kleine Anheben bremsend, weil dafür Energie benötigt wird.

Bild 1: Rad überrollt Hindernis

Während bei der Fahrt bergauf allerdings die Energie für die Abfahrt gespeichert wird, geht sie auf unebenem Weg zum größten Teil verloren. Das liegt daran, dass ein Hindernis wie eine Kante im Bodenbelag, eine Wurzel o. ä. die ursprünglich horizontale Bewegungsrichtung in eine mehr vertikale umlenkt. Auch das Zurückfallen nach dem Hindernis geschieht nicht in der gewünschten Bewegungsrichtung vorwärts, sondern mehr oder weniger schräg von oben. Zusätzlich wird bei jedem Aufprall im Reifen Walkarbeit verrichtet – die letztlich in Form von Wärme ebenfalls verloren geht. Analog, mit umgekehrten Vorzeichen, gilt dies natürlich auch für Schlaglöcher. Bereits die geringe Rauheit, die ein Radweg mit Plattenbelag mit seinen zahlreichen Fugen aufweist, verschlingt durch das stärkere Walken im Reifen und kleine und kleinste Hebevorgänge unnötig Energie.

Ein größeres Rad läuft übrigens leichter über solche Unebenheiten hinweg, da es die horizontalen Fahrkräfte durch den flacheren Aufrollwinkel weniger stark umlenkt. Eine Federung am Rad wiederum vermag die gröberen Schläge auf das ungefederte Fahrwerk und damit auf weniger Masse zu begrenzen, wodurch weniger Energie aus der vertikalen Bewegungsrichtung verloren geht. Die Vibrationen eines Plattenbelags vermag sie durch innere Reibung, Dämpfung und ihre Trägheit nicht zu nivelieren, bei schlechteren Gabeln noch nicht einmal die schnell aufeinander folgenden Schläge von Kopfsteinpflaster. Diese werden damit weiter in nutzlose Walkarbeit, Kraftumlenkung und Vibration umgesetzt.

Bild 2: Vergleich Winkel großes und kleines Rad

Effizienz

In vielen Fällen wird man als vorausschauender Radfahrer vor erkennbaren gröberen Unebenheiten abbremsen, um anschließend wieder zu beschleunigen – ein typisches Phänomen von quer im Radweg liegenden Rinnsteinen an Kreuzungen. Auch dadurch wird (dem Fahrer nur begrenzt zur Verfügung stehende) Energie in Reibung und Wärme umgewandelt. Zudem ist die muskuläre Belastung durch diese unfreiwillige »Intervalltraining« weniger gleichmäßig und dadurch ungünstiger. Auch der Verschleiß am Rad nimmt zu.

Unebene Wegeoberflächen verlangen vom Menschen auf dem Rad überdies zusätzliche Haltearbeit und Körperspannung in Händen, Armen, Schultern, Beinen und Rücken, um Schläge abzufedern sowie das Rad trotz der Beschleunigung in unbeabsichtigte Richtungen unter Kontrolle zu halten. Energie, die auf längeren Strecken zum Vortrieb fehlt.

Sicher ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist der psychologische Effekt, auf einer spürbar schlechten Wegstrecke Kraft zu sparen und nicht mit Maximalleistung zu fahren, auch um Mensch, Material und Mitgeführtes zu schonen. Die dadurch sinkende Geschwindigkeit verringert wiederum die in akzeptabler Zeit erreichbaren Ziele.

Erkenntnisgewinnung

Man muss wissen, dass der mehrschichtige Oberbau einer Straße sich von dem eines Fahrradwegs (in Deutschland) deutlich unterscheidet: Während ersterer bei einer Straße bis zu 90 cm dick ist, beträgt die Dicke eines Radwegoberbaus zwischen 20 bis bestenfalls 40 cm. Diese Oberbauqualität ist mitentscheidend für die (auch über längere Zeiträume beständige!) Längsebenheit, weshalb man in den Niederlanden bei Radverkehrsanlagen darauf inzwischen besonders hohen Wert legt.

Längsebenheit meint in diesem Zusammenhang Unregelmäßigkeiten in der Wegeoberfläche in Fahrtrichtung des Rades. Im Optimalfall wäre die Oberfläche absolut eben und fest. Hindernisse und nachgiebige Oberflächen bringen das Rad nun aber in der Vertikalen oder seitwärts aus der Fahrtrichtung; sie lenken die Kraft aus der Fahrtrichtung in andere Richtungen um. Die Kraft, mit der dies geschieht ist umso größer, je höher die Geschwindigkeit und je größer die Unebenheit ist. Sie lässt sich in Beschleunigungswerten in andere Richtungen als der ursprünglichen Bewegungsrichtung messen, angegeben in m/s2. Der Einfachheit halber wird diese Beschleunigung oft als Vielfaches der Erdbeschleunigung in Höhe von 9,81 m/s2 (von der wir, da wir ihr dauerhaft in Form der Gravitation ausgesetzt sind, nichts merken) angegeben. Zum Vergleich: Die bei Kindern übliche Beschleunigung auf einer Schaukel beträgt bis zu 1,5 g; die eines Mittelklassewagens unter 1 g. Neben der Stärke spielen auch Richtung, Frequenz und Dauer der Beschleunigung(en) eine entscheidende Rolle für den menschlichen Körper.

Wenn höchste Oberflächenqualitäten gefordert werden geht es primär nicht um Komfort, sondern um ein höchst verkehrsökologisches Thema: Der Erschließung möglichst großer Start- und Zielgebiete, einer möglichst großen Reichweite für die Fahrradnutzung!

In Europas Fahrradland Nr.1, den Niederlanden, ist man sich über diese Zusammenhänge schon sehr lange im Klaren. Die dortige Fahrradlobby, der Fietsersbond, betreibt eine ganze Flotte von speziellen Messfahrrädern, genannt Meetfiets. Die von der Sensorik der Meetfiets (siehe Kasten) erfassten Daten werden laufend in einem bordinstallierten Computer gespeichert, im Nachgang ausgewertet/aufbereitet und für die Arbeit mit den zuständigen Behörden genutzt. Die Meetfiets werden nach Kenntnis der Autoren in den Niederlanden derartig intensiv genutzt, dass Anfragen zur Ausleihe nach Deutschland aussichtslos sind …

Meetfiets

Dieses Messrad wurde ab 1999 von M+P, Amsterdam, für den niederländischen Fietserbond entwickelt. Im Rahmen des Projektes Fietsbalans werden damit systematisch Radwege befahren; die Daten dienen der Beurteilung der Radwegequalität. Die anfallenden Daten werden direkt auf dem Rad gesammelt und dem Fahrer in Echtzeit auf einem Display angezeigt. In der aktuellen Version des Meetfiets arbeiten folgende Sensoren:

  • Vibration: Stärke und Spektrum der Vibration gemittelt über eine Sekunde. Neben der maximalen Stärke der Vibration spielt für den menschlichen Körper auch deren Frequenz eine große Rolle. Dieser reagiert besonders empfindlich auf eine Frequenz von 4–8 Hz; darunter und darüber nimmt die Empfindlichkeit ab. Für eine verbesserte Aussagekraft über die Belastung durch Stöße und Vibration werden die Daten deshalb nach ISO 2631-1 (»Human exposure to mechanical vibration and shock«) gewichtet. Die Beschleunigungssensoren, Typ B&K 4502, befinden sich unter Lenker und Sattel und werden mit 48 kHz ausgelesen. Laut Hersteller treten im typischen Fahr- und Messbetrieb Vibrationen von maximal ±5 bis 10 g (5- bis 10fache Erdbeschleunigung) auf.
  • Position und Geschwindigkeit mittels GPS und Signalgeber am Laufrad.
  • Geräuschmessung: Geräuschpegel gemittelt über eine Sekunde, um die Geräuschkulisse zu ermitteln, der der Radfahrer ausgesetzt ist. Das Mikrofon befindet sich auf der Kiste auf dem hinteren Gepäckträger. Die Rohdatenrate beträgt ebenfalls 48 kHz.
  • Luftqualität: Partikelzählung und Aerosol-Monitor mit DustTrak und CPC (TSI Incorporated, USA), um die Schadstoffbelastung zu ermitteln, der der Radfahrer ausgesetzt ist.
  • Videoaufnahme am Lenker

Daten und Angaben mit freundlicher Unterstützung von M+P, Amsterdam.

Bild 3: Meetfiets
Von: M+P, Amsterdam

Dem gegenüber stehen wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Messverfahren in Deutschland noch weit zurück. Während in den Niederlanden bereits umfassend Wege einzeln vermessen, bewertet und optimiert werden, begnügt man sich hierzulande damit, erst einmal grundsätzlich eine objektivierte Bewertung der Qualität unterschiedlicher Wegeoberflächen vorzunehmen. So hat das Tiefbauamt der Stadt Rosenheim das Laboratorium für Straßenwesen der Universität der Bundeswehr München beauftragt, ein Messfahrrad zu entwickeln und ausgewählte Radwege unterschiedlicher Befestigungsarten damit zu vermessen. Die 2011 veröffentlichte Studie Straße und Autobahn vergleicht hierzu die nicht näher beschriebenen Oberflächen »Platten neu«, »Platten alt«, »Asphalt neu« und »Asphalt alt«. Das Ergebnis wird niemanden verwundern, der einmal mit einem Kasten Getränke auf dem Gepäckträger unterwegs war. Die Werte wurden berechnet nach der Formel
\[ \overline{y}=\sqrt{\frac{1}{n}\sum_i y_i^2} \]
wobei »y« die Stärke der Erschütterung ist.

Es ergeben sich folgende Abstufungen von »besser« zu »schlechter«:

Tabelle 1: Abstufungen
(Quelle: Studie Straße und Autobahn, S.25)
Oberfläche Gesamtmittelwert [m/s2]
1 Asphalt neu 0,168
2 Platten neu 0,293
3 Asphalt alt 0,312
4 Platten alt 0,314

Grundsätzlich wurden in dieser Studie alle durch z. B. Bordsteinabsenkungen, Rinnen und Zwangshaltepunkte gestörten Bereiche nicht gewertet, durch »Grabungswiederherstellung« reparierte Stellen aber schon. Offensichtlich wurde der Messbereich der verwendeten Beschleunigungssensoren aber schlecht gewählt: Diese waren nur auf einen Messbereich von ±3g ausgelegt, also bis zum dreifachen der Erdbeschleunigung; im Messdiagramm sind aber vielfach noch weit stärkere Ausschläge zu erkennen. Zudem betrug die Abtastrate nur 20 Hz bei einer gefahrenen Geschwindigkeit von 14–19 km/h. Gemessen wurde also durchschnittlich nur einmal pro ca. 23 Zentimeter Fahrstrecke – im Vergleich mit der Sensorik des Meetfiets (siehe Kasten) nur eine sehr geringe Auflösung, viele Erschütterungen dürften damit durchs Raster gefallen sein.

Bild 4: Beispiel für ein Messdiagramm (Quelle: Studie Straße und Autobahn, S.24)

Sicherheit

Ein letzter Grund noch, der Qualität von Radwegen über den Komfort hinaus Beachtung zu schenken, ist die Sicherheit. Unabhängig von der Belagsart ist das Risiko von Unfällen auf Radwegen grundsätzlich erhöht, z. B. durch unmittelbar einmündende Einfahrten, Querung von Abbiegespuren und einer Bewegung weiter vom dominierenden motorisierten Verkehr entfernt, wodurch das Risiko übersehen zu werden steigt. Eindrucksvoll durch einen vorher-nachher-Vergleich z. B. in einem Artikel des ADFC Diepholz nachzulesen: Für linksseitige Radwege geht man von einem bis zu zehnfach erhöhten Unfallrisiko im Vergleich zur Benutzung der Straße aus. Eine hohe ständige Aufmerksamkeit für den übrigen Verkehr ist für den Radfahrer also überlebenswichtig. Eine schlechte Fahrbahnoberfläche wie wechselnde Radwegebeläge, Absenkungen an Ausfahrten, zu querende Rinnsteine im Kreuzungsbereich, Verschmutzungen, unzureichenden Breiten, all die vielen kleinen Ausweichbewegungen vor den gröbsten Unebenheiten etc. absorbieren jedoch zusätzlich Aufmerksamkeit durch den Blick auf den Boden, die für den Überblick über die gesamte Verkehrssituation fehlt.

Auch die hohe Anzahl von Alleinunfällen von Radfahrern – je nach Schätzung der Dunkelziffer sind das bis zu 90 % aller Unfälle, in die Radfahrer verwickelt sind – ist durch schlechte Oberflächen mit verursacht. Besonders betroffen sind dabei ältere Verkehrsteilnehmer.

Bild 5: Zu schmaler innerstädtischer Radweg mit groben Unebenheiten, vielfachem Belagwechsel (inklusive Metallgittern), Ein-/Ausfahrten mit Absenkungen und weiteren Hindernissen – auf einer Länge von mehreren hundert Metern. Hannoversche Straße (stadteinwärts), Celle.
Bild 6: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg: Selbst Kopfsteinpflasterstraßen lassen sich für den Radverkehr optimieren, Berlin
Von: Michael Stoß

Zusammenfassung

Zusammenfassend ist anzumerken, dass die behördlicherseits gelegentlich abwertend gemeinte Gleichsetzung »hohe Oberflächenqualität = Komfort« nur einen vergleichsweise weniger bedeutenden Teilaspekt beschreibt. Das Hauptargument für radverkehrspolitisch Aktive sind die Entwicklung/Vergrößerung der Fahrradverkehrspotentiale sowie die Verbesserung der Sicherheit.

Zu den Autoren

Heinz Herrmann, Jahrgang 1949. Im seinem letzten ausgeübten Beruf war er als Verkehrsreferent bei einer großen Airline zuständig für die Mitarbeiterverkehre zwischen Wohnort und Arbeitsort. Jetzt ist er Ruheständler, Hausmann sowie Mitglied der Fachgruppe Radverkehr des ADFC Münster/Münsterland, welche sich des Themas Oberflächengüte intensiv angenommen hat. Der große Nachholbedarf in Sachen Oberflächenqualität von Radverkehrsanlagen hierzulande wurde ihm selbst erstmalig vor elf Jahren sehr bewusst, als er viele Alltags- und Freizeitkilometer mit seinem Sohn in einem Fahrradkinderanhänger im Schlepp in Deutschland und den Niederlanden zurücklegte.

Wolfram Steinmetz, Jahrgang 1979, ist als Lehrer, Musiker und Geschichtenerzähler tätig. Er pendelt auf der Relation Hannover-Celle zur Arbeit – vorzugsweise auf Wegen mit wassergebundener Oberfläche und mit dicken MTB-Reifen. Auch sonst liebt er sportliche Langstrecken. Seit 2013 ist er Redaktionsmitglied der Fahrradzukunft.