Ausgabe 28 · April 2019
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Birdy Touring – Bilanz nach 10 Jahren
Einleitung
2009, also vor zehn Jahren habe ich mir ein Birdy Touring zugelegt. Damals habe ich meine ersten Eindrücke und Kritikpunkte in dem Artikel »Birdy Touring – faltbares Reiserad … oder Techno-Spielzeug für Besserverdienende?« zusammengefasst. Seitdem habe ich einiges an Erfahrungen mit der Maschine sammeln können, die ich hier gerne zur Diskussion stellen möchte. Schließlich werfe ich einen Blick auf das aktuelle Modell, um zu untersuchen, inwiefern Kritikpunkte nach zehn Jahren abgestellt worden sind.


Benutzt habe ich das Rad meistens zum Pendeln, auch im Winter (mit Spikes)
bei Schnee und Regen. Es ist daher möglich, dass das Rad deshalb stärkerem
Verschleiß als bei gelegentlicher Nutzung bei trockenem Wetter ausgesetzt
war. Die Strecken waren meistens kurz (<
Das Rad lässt sich mit zwei Lowridern und Packsäcken hinten beladen. Insgesamt hat man deutlich weniger Stauraum als auf einem »normalen« Rad.

Beim Fahren fällt auf, dass die Flatterempfindlichkeit mit Gepäck steigt. Kritisch wird dies, wenn die Schwingenlager vorne Spiel bekommen. Dann kann man das Rad kein Gefälle mehr sicher herabsteuern. Glücklicherweise lässt sich das Spiel nachstellen. Hier war öfter Feintuning nötig, denn zu stramm eingestellt wird das Falten erschwert.
Schwingenlagerung

Der filigrane Lowrider hielt problemlos, wurde aber auch in der Regel nur
mit mäßiger Beladung in Front-Rollern genutzt. Während sich die
Vorderradschwingenlagerung vom Endverbraucher leicht nachstellen lässt,
ist dies bei der Lagerung der Hinterradschwinge leider nicht der Fall. Und
so war es auch nach vier Jahren soweit: Die Schwinge schlackerte geradezu,
am Laufrad ließen sich locker +/-

Die Federung ist von der Geometrie her optimal ausgelegt und die Verwendung der Schwingenlager als Faltgelenk scheint elegant. Insgesamt sollte man die praktische Relevanz dieser Konstruktion aber wirklich nicht überschätzen:
Die Federwege gerade vorne sind nicht üppig und das Fahren auf Oberflächen, die rauer als Kopfsteinpflaster sind, bleibt eine lästige Angelegenheit. Wer also oft Waldwege fährt, sollte keine Wunder erwarten, sondern eher ein Faltrad mit größeren Laufrädern und breiteren Reifen wählen.
Schaltung
Wie bereits im Ursprungsartikel beschrieben, halte ich das große Kettenblatt und die daraus resultierenden Entfaltungen bei einem Reiserad für fehl am Platze. Die dort beschriebene Umrüstung auf ein 40er Blatt hat sich in den letzten zehn Jahren bewährt, die dabei montierten Kettenschutzscheiben von TA sind wie erwartet, quasi unzerstörbar. Sehr zufrieden bin ich auch mit dem Nabenschaltungsteil der Sram 3x8-Naben-Kettenschaltungskombination. Die von mir ursprünglich bemängelte »brachiale« Umlenkung des Nabenschaltseils hat fünf Jahre gehalten, erst dann musste ich das Schaltseil tauschen. Ansonsten: Keinerlei Wartungsbedarf bei tadelloser Funktion.

Bezüglich der Kettenschaltung lässt sich dies leider nicht sagen. Nach einigen Wintern litt die Schaltqualität doch beträchtlich unter der hohen Reibung angesichts der langen und mit vielen Kurven verlegten Züge. Drei Mal musste das Schaltseil erneuert werden, was insbesondere im Bereich der Schwinge fummelig ist. Auch das ursprüngliche Schaltwerk war nach fünf Jahren austauschreif. Schließlich glitten die intern verlegten Zughüllen nach einiger Zeit nicht mehr so gut im Rahmen, sodass man diese nach dem Ausfalten jedesmal »zurechtzupfen« muss. Das nervt gerade im Alltag!

Schutzbleche
Weitere Verschleißteile waren die Schutzbleche. Sie wurden vorne zwei und hinten ein Mal ausgetauscht. Zum Teil ist dies bei einem Rad, dass viel transportiert wird und oft anstößt, vielleicht unvermeidbar. Auch sind Radschützer, die als Teil der ungefederten Massen an die Schwinge montiert werden, einer erhöhten Vibrationsbelastung ausgesetzt.
Aber auch hier hat

Schließlich sind die Schutzbleche v.a. hinten, aber auch vorne relativ
kurz, was im Winter besonders ärgerlich ist. Dieser Umstand setzt nicht
nur die eigene Hose, sondern auch die Zähne des nachfolgenden Fahrers
einem Beschuss mit Dreckpartikeln aus. Selbst wenn die Marketingabteilung
sagen sollte, dass nur ein kurzes Hinterrad-Schutzblech »richtig schnell«
aussieht, so sollten wenigstens die Ingenieure bei
Beleuchtung
Ein »Lichtblick«, auch nach zehn Jahren, ist die Beleuchtungsanlage mit
SON-Dynamo und Edelux-Scheinwerfer: robust, zuverlässig, wartungsfrei.
Leider musste man diese in Eigenregie zusammenstellen, da
Tragen?
Für ein Faltrad, dass an jedem Bahnhof regelmäßig aus Zügen sowie die Treppe hoch und runter gestemmt werden muss, ist das Trageverhalten wichtig. Der initiale Eindruck bestätigt sich hier: Ungefaltet trägt sich das Rad sehr angenehm, gefaltet nehme ich es nur so kurz wie möglich in die Hand. Das »Päckchen« ist breit, im Schwerpunkt einzugreifen ist so nicht sehr bequem, da es körperfern getragen werden muss. Die Rollen zwingen zum »queren« Ziehen und wurden von mir daher nie benutzt.
Laufrad
Eine ständige Quelle von Ärgernis waren wie befürchtet die Laufräder. Das exotische Maß von Felgen und Ventilbohrung, für das der Hersteller nicht genug kritisiert werden kann, taten dazu ein Übriges.
Die verbauten Felgen von Alexrims haben bereits neu nur eine geringe
Flankenstärke – bei dem geringen Durchmesser eine weitere, klare
Fehlentscheidung von

Eine besonderes Erlebnis hatte ich dabei auf einer Radreise in Norddeutschland. Da mir das Luft ablassen, Felgenflanken messen und dann wieder aufpumpen vor der Abreise zu nervig war, bin ich einfach so gestartet. Ein Fehler, wie ich kurz vor Lüneburg bemerkte: Es ruckelte hinten verdächtig beim Bremsen. Ich stieg ab und sah mit Schrecken, dass die Felge am Stoß bereits eingerissen war. »Nun ja, ich bin ja gleich in einer Stadt, da werde ich doch sicher eine passende Felge finden«, dachte ich mir. Aber Pustekuchen! Vier Radhändler später (sogar mit Birdy im Programm) wurde mir klar, was es bereits in faltradaffinen Gegenden bedeutet, auf Ersatzteile im Exotenmass ETRTO 355 angewiesen zu sein! Felgen in 305 oder 406 wäre demgegenüber verfügbar gewesen. Zähneknirschend bestieg ich nach einigen Telefonaten den Zug nach Hamburg, wo ich nach einigem Suchen fündig wurde. Netterweise durfte ich dann am Abend bei Redaktionskollegen Olaf mein Hinterrad wieder flottmachen…

Aber gerade auf Radreisen hat das »Touring« weitere völlig überflüssige
Handycaps zu bieten: Mal eben einen Schlauch kaufen? Denkste! Passende
355er mit Sclaverandventil sind genauso selten wie die Felgen. Dies ist
besonders ärgerlich, da Schläuche in dieser Größe mit Auto- oder
Dunlopventil problemlos für Kinderräder zu haben sind. Aber gut, als
leidgeprüfter Birdy-Tourist habe ich dieses Problem mittlerweile mit dem

Bei den Reifen, die man glücklicherweise unterwegs nicht so häufig wechseln muss, gibt es derweil Positives zu berichten: Von Schwalbe gibt es mittlerweile sogar Spike-Reifen, diese bin ich auch einige Winter gefahren. Ansonsten nehme ich gerne den Schwalbe Marathon in 44-355, er bietet gute Durchschlagfestigkeit und guten Pannenschutz. Meinen Lieblingsreifen, den Marathon Plus, hat die Firma leider aus dem Programm genommen.
Bremsen
Ein weiteres Dauerthema waren die Bremsen. Ich fahre bei den meisten
meiner Räder V-Brakes und bin damit auch stets zufrieden. Am Birdy sind
diese, insbesondere beim Ganzjahreseinsatz, ein Unding. Sie tragen nicht
nur zum rasanten Felgenverschleiß (auf Grund des kleinen
Laufraddurchmessers, s.o.) bei, sie sind auch wegen der verschlungenen
Seilzugwege v.a. am Vorderrad eine Problemquelle. Dies führte bei mir
nicht nur zu erhöhter Reibung und Schwergängigkeit sondern vorne im Winter
auch zu regelrechtem Einfrieren, gerne auch in angezogener Position!
Zeitweise hatte ich daher vorne eine Magura Hydrostop montiert, was auf
Grund der Zugverlegung in der Schwinge kein Zuckerschlecken war. Am
Hinterrad erschwert


»Aber heute ist doch alles besser!«

Nachdem ich meine Erfahrungen aus zehn Jahren in einem ersten Entwurf
dieses Artikels zu Papier gebracht hatte, führte Feedback aus der
Redaktion mich dazu, einmal zu untersuchen, was
Freundlicherweise stellte mir Jonas Römer, Geschäftsführer des Faltradspezialisten faltbar.ch, zum Vergleich ein aktuelles »Touring« zu Verfügung und so konnte ich mich selbst vom Gang des Fortschritt überzeugen.
Heute haben die Birdys dem allgemeinen Trend folgend natürlich hydraulische Scheibenbremsen (Shimano Deore), was sehr zu begrüßen ist. In Bezug auf die anderen Problemstellen gab es allerdings kaum Verbesserungen:
Der alberne Felgendurchmesser ist bei
Bei der Beleuchtung gibt es jetzt serienmäßig eine Lösung mit Dynamorücklicht. Wieso jedoch beim Touring ein Spezialrücklicht (!) derartig versteckt in Achsnähe montiert wurde, wo doch am Gepäckträger ein geschützter Montageplatz für ein Standardrücklicht vorhanden wäre, erschließt sich mir nicht.

Aber auch bei den Schutzblechen hat

Völlig zur Farce wird aber der »Touring«-Anspruch mit Lowridern und dem Flair von Freiheit und Abenteuer auf der korrespondierenden Website angesichts der aktuellen Schaltungsoptionen:
War die untere Entfaltungsgrenze für hügeliges Gelände schon beim Modell von vor zehn Jahren für Radreisen eigentlich ungeeignet, so ist heute auch noch die Übersetzungsbandbreite eingeschränkt: Statt der bewährten SRAM DualDrive, deren Produktion bedauerlicherweise eingestellt wurde, wurde schlicht eine Kettenschaltung mit einer Standard-Kassette mit 10 Ritzeln (9-32 Zähne, SunRace) verbaut. Ähnlich wie vor zehn Jahren beim Einstiegsmodell (damals mit 8-fach-Kassette). Hier hat man schlicht »downgegraded«! Zumindest eine der heute verfügbaren Kassetten mit großem Übersetzungsumfang (z.B. 11-42 Zähne von Shimano) und eine Auswahlmöglichkeit bezüglich der Kettenblattgröße sollte angeboten werden.
Fazit
Ein Faltrad ist eine enorme Bereicherung für Menschen, die ihren Mobilitätsbedürfnissen mit Muskelkraft und ohne Auto gerecht werden möchten. Das Birdy macht da keine Ausnahme.
Noch einmal würde ich mir dieses Rad aber sicher nicht kaufen. Die Maschine hat mit vielen Spezialteilen und einem zu hohen Preis schlicht erhebliche konstruktive Fauxpas. Diese schränken die Alltagstauglichkeit (z.B. Schutzbleche) aber auch die Eignung für Reisen (z.B. Schaltung) deutlich ein und sind auch nach zehn Jahren immer noch nicht ausgebügelt.
Das Birdy bleibt daher für mich ein »Techno-Spielzeug für Besserverdienende«. Ich kann daher Menschen, die stattdessen in erster Linie ein effizientes Verkehrsmittel suchen nur dringend empfehlen, vor einem Kauf auch verschiedene Modelle der Konkurrenz vor Ort probezufahren und zu falten.
Für mich optimal wäre ein Brompton mit 406er Laufrädern, hydraulischen Scheibenbremsen und normaler Klemmbreite. Aber wovon träume ich dann nachts!?
Zum Autor
Stefan
Buballa, Arzt, Alltags- und Reiseradler. Selbstbau eines Reiserades und
eines Alltags-Kurzliegers. Er ist fasziniert von der Schlichtheit und
ökologischen Effizienz muskelkraftbetriebener Fahrzeuge. Besondere
Interessen: Ergonomische und leistungsphysiologische Aspekte. Besondere
Schwächen: Radreisen in Afrika und Nahost …
Erfahrungen mit anderen vollgefederten Faltradmodellen: Dahon Jetstream P8
Mit seinen »klassischen« 20-Zoll-Rädern (ETRTO 406) bietet das Jetstream
eine gute Auswahl, was Felgen und Reifen angeht. Auch die
rennradtypische Nabenbreite von
Die Hinterbaufederung mit ihrem Luftdämpfer spricht sensibel an und ist
gut einstellbar. Auch die Lager haben trotz öfter mal fordernder
Fahrweise immer noch kein Spiel. Jedoch macht die Federgabel keine gute
Figur. Es handelt sich (im Gegensatz zum Original im doppelt so teuren
XP-Modell) um ein abgespecktes Modell der german: A »Kilo«. Bis auf die
Kinematik scheint aber nicht viel übrig geblieben zu sein; die Gabel ist
leider technisch sehr reduziert und mit einem einfachen
Elastomer-Federelement im Schaftrohr ausgestattet statt des originalen
Luftdämpfers auf der rechten Gabelseite. Dadurch wird die Gabel
»bockig«, da sie ungedämpft wieder ausfedert und sich die Vorspannung
nicht einstellen lässt. Die Lager schlagen vielleicht auch deshalb
schnell aus, was zu einem unpräzisen Fahrverhalten führt. Leider konnte
weder der örtliche Fachhandel Ersatzteile liefern noch der
Dahon-Vertrieb (letzterer schickte auf meine zweite oder dritte Anfrage
immerhin kostenlos andere, für das Lagerproblem aber gar nicht relevante
und damit unbrauchbare Kleinteile). german:A antwortete auf
diesbezügliche Anfragen gar nicht erst. Bei fortgeschrittenem
Verschleißzustand war daher die einzige Lösung, die Gabel zu wechseln.
Die Auswahl an brauchbaren 20-Zoll-Federgabeln ist (bis auf die in
Liegerädern gerne verbaute Spinner Grind) sehr klein. Federgabeln mit
passendem Gewindeschaft ließen sich gar nicht auftreiben, das Schneiden
eines Gewindes in einen Ahead-Schaft verbietet sich wegen der erhöhten
Bruchgefahr. Starrgabeln haben dagegen eine zu geringe Einbauhöhe. Es
läuft also in jedem Fall auf eine Bastel- und Adapterlösung hinaus.
Durch die in der Regel
Die klappbaren Pedale sind ebenfalls nicht gut gelagert, drehen sich mit reichlich Spiel aber immer noch. Die übrigen Komponenten machen keine Umstände und funktionieren und verschleißen in erwartbaren Umfang. Wie überhaupt bei felgengebremsten Rädern bietet es sich besonders bei den kleinen Felgendurchmessern an, auf weiche Bremsgummis zu achten. Bremsgummis zu wechseln geht schneller, günstiger und einfacher als ein Felgen- oder Laufradwechsel.
Wolfram Steinmetz