Ausgabe 29 · Oktober 2019

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Mut und neue Ideen für eine ökologische Mobilität

Interview mit Florian Wolf, Leiter des Projektes FOSvelo zum Bau von Liegerädern an einer Schule

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Die FOS Freie Mittelschule in Muttenz bei Basel bietet ihren Schülerinnen und Schülern seit 2002 ein besonderes Schulprojekt an. Im FOSvelo werden in einer Projektgruppe und einem Schuljahr Liegeräder gebaut. Jeder Teilnehmende baut hier sein eigenes Liegerad vom Rahmen bis zum fertigen Rad. Etwas Besonderes ist dieses Projekt, weil das Lernen eingebettet ist in soziale Erlebnisse, in exploratives Erarbeiten neuer Zusammenhänge und in die Auseinandersetzung mit sich selbst – wichtige Grundlagen für die Persönlichkeitsbildung und eine zentrale Stütze für Motivation und Begeisterung.

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Wie können wir uns euer FOSvelo vorstellen?

Das FOSvelo ist das Ur-Projekt unserer Schule, im nächsten Schuljahr findet es zum siebzehnten Mal statt. Von Jahr zu Jahr konnten weitere Erfahrungen eingebaut werden; die Velos selbst und die Abläufe haben sich stetig verbessert. Das FOSvelo-Projekt ist ein Paradebeispiel dafür, wie Kompetenzerwerb und interdisziplinäres Lernen sich so verbinden, dass die Teilnehmenden über eine längere Zeit hinaus motiviert mitarbeiten. Und nicht zuletzt ist es ein Beispiel dafür, wie man ökologisches Handeln vermittelt.

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Wie fing das denn alles bei euch an?

Das erste Projekt fand im Jahr 2002 unter der Leitung meines Vaters und mir statt. Das war in der Werkstatt und auf der Reise sehr abenteuerlich. Seither haben jährlich zwischen 10 und 35 Schülerinnen und Schüler daran teilgenommen. Mein Vater war über 10 Jahre dabei. Mit der heutigen Erfahrung geht alles etwas geregelter... doch siehe da: Das aktuelle Projekt ist in Verzug, weil wir beim Rahmenbau viel weniger helfen. Mal schauen, ob alle Räder bis Anfang Juni fahrbereit sind.

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Was bedeutet diese Projekt für die Teilnehmenden?

FOSvelos ist ein frei wählbares Projekt das mit Schülerinnen und Schülern jeweils im elften Schuljahr durchgeführt wird. Es steht ganz im Zeichen der ökologischen Mobilität. Gegen 350.000 Personenkilometer wurden im Rahmen der Projekte von Schülern aus eigener Muskelkraft zurückgelegt. Während eines Jahres bauen die Teilnehmenden gemeinsam Liegeräder, mit welchen sie dann anschließend eine große Reise unternehmen. Das Projekt ist so angelegt, dass es nur im Team erfolgreich realisiert werden kann. Handwerkliche Fertigkeiten werden intensiv geschult und auf der Reise von 1.500-2.000 km werden Durchhaltevermögen und Wille auf eine harte Probe gestellt.

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Wie steht es denn um die Räder, halten diese die weiten Strecken problemlos aus?<

(Florian Wolf lacht.) Radtouren sind unsere Leidenschaft. Schon seit vielen Jahren bauen wir Fahrräder und testen diese auf ambitionierten Touren. Unsere Ideen und Konzepte haben wir in einem Liegeradmodell vereint. Es ist der Alpentourer AT1, den unsere Schülerinnen und Schüler hier bauen. Es ist ein leichtes, schlichtes und sehr leistungsfähiges Liegerad und somit eine stilvoll konzipierte Antwort auf viele Tourenfragen. Dem Anschein nach unspektakulär, doch um Sitzposition, Handling, Aerodynamik, Rahmensteifigkeit und Terrainflexibilität zu gewährleisten, baut jede Schülerin und jeder Schüler den Rahmen und Sitz in seiner Größe, also individuell angepasst. Verbaut werden moderne Tret- und Steuerlagerstandards, breite Reifen, funktionell ergänzt durch eine innovative Vorderradlösung. Ein durchdachtes Gesamtkonzept, umgesetzt mit viel Liebe zum Detail.

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Was bedeutet das denn für euch, wenn die Räder endlich fertig sind?

Aus eigener Muskelkraft – ohne Begleitfahrzeuge – bis ans Meer. Nach diesem Grundsatz geht das Projektteam vor den Sommerferien auf Radtour. Zwischen 1.500 und 2.000 km werden insgesamt zurückgelegt. Ausrüstung, Reisegepäck, Motivation und das nötige Coaching der Reisebegleiter muss aufeinander abgestimmt sein. Es ist eine Reise mit Verzicht auf Luxus, gespickt mit unzähligen Glücksmomenten und harten Alltagssituationen.

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Stellen eure Radtouren dann so eine Art Bildungsurlaub dar?

Büffeln gehört wohl nicht dazu. Doch wenn Selbst- und Fremdeinschätzung Teil unserer Bildung sein soll, dann ist es wohl eine der effektivsten Methoden. Alleine die Vorstellung daran, morgen mit 15 Schülerinnen und Schülern auf eine große Radtour zu gehen, hält einem Folgendes vor Augen: Das ist unbequem, herausfordernd, es braucht Mut, Willen, Empathie, physische und psychische Kondition und ganz viel Vertrauen in junge Menschen. Das ist eine wunderbare Voraussetzung um ganz viel zu lernen.

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Ist denn die Stimmung immer prima auf euren Touren?

Was soll ich sagen, ja, die Reise war erfolgreich! Und als Erläuterung ein paar wichtige Fakten und ein kleiner Ausflug in die praxisorientierte Persönlichkeitsbildung. Es sind alle Teilnehmenden 1.800 km aus eigener Muskelkraft gefahren. Und es hat auch niemand geschummelt. Es waren alle Teilnehmenden während der drei Wochen gesund. Ein paar kleinere Behandlungen von Druckstellen oder Knieschmerzen waren schon nötig. Wir waren als Team unterwegs und konnten uns mit den zwischenmenschlichen Indifferenzen arrangieren. Das erachte ich bei 20 Personen (inkl. Begleiter) als nicht selbstverständlich.

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Die alltäglichen Herausforderungen konnten gemeistert werden – manchmal ohne Probleme, manchmal halt mit giftigen Zungen. Vielleicht könnte man eine solche Reise auch als Feuerprobe oder Standortbestimmung der Selbständigkeit bezeichnen. Dafür zu sorgen, dass man Velofahren, Essen und Schlafen kann tönt zwar trivial. Man könnte es aber auch anders ausdrücken: Als Team ein vorgegebenes Ziel ohne Unterstützung oder Intervention des Vorgesetzten zu erreichen.

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Nun ja, da gibt es stets bessere und schlechtere Wege. Das Problem ist einfach, dass man erst einmal die Fähigkeit entwickeln muss, den Unterschied zwischen besseren und schlechteren Wegen bewusst wahrnehmen zu können. Hinzukommt, dass besser und schlechter eine individuelle, subjektive Bedeutung hat.

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Ich möchte nicht philosophisch werden, sondern einfach einen pragmatischen Ansatz erläutern: »Aus Fehlern lernt man.« Und weil man als Begleitperson auch Teil des Teams ist, geht‘s dann halt mal nach 100 km ohne Znacht (das sagt man in der Schweiz zum Abendessen) ins Zelt, nicht als Bestrafung, sondern weil halt einfach die Organisation nicht so stimmig war.

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Aber das ist zum Glück nur einmal vorgekommen. Das wichtigste an der Sache ist und bleibt jedoch der Erfolg. Auf ein Kein-Znacht müssen einige Super-Znacht folgen. Erst dann hat man Motivation und Relation.

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Wie verläuft denn die Route bei solch einer großen Tour?

Eine Route auf dem Hinweg ist von Basel nach Chur über den Splügenpass zum Comersee. Mailand wird dann weitläufig umfahren. Es geht weiter nach Tortona über Passo della Bocchetta bis Genua. Mit der Fähre fahren wir von Genua nach Bastia auf Korsika. Wenn das Wetter stimmt und alle fit sind, geht es quer durch Korsika an die Westküste bis nach Bonifacio, von wo wir mit der Fähre nach Sardinien übersetzen.

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Auf Sardinien, an der Costa Smeralda, besteigen wir die beiden Katamarane Solea und Planado der FOSsailing und segeln für eine Woche auf dem Mittelmeer.

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Danach geht es mit der Fähre von Olbia auf Sardinien wieder nach Genua. Unser Rückweg von Genua führt uns von Passo della Bocchetta über Tortona, Mortara und Varese zum Lago di Lugano. Über den Ceneri Pass fahren wir nach Bellinzona und danach über den Gotthardpass nach Luzern und kommen dann zuhause in Basel wieder an.

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Was bedeutet für euch denn der Segelausflug am Ende des Hinweges?

Die beiden Segelboote wurden im Rahmen eines Schulprojektes in den Jahren 2000-2002 gebaut. Die Idee mit dem Fahrrad zu den Booten zu fahren und dann wieder zurück in die Schweiz war irgendwie naheliegend. Dieses Konzept haben wir seither beibehalten, denn das Segeln wird von den Schülern als eine Art erstrebenswerte und motivierende Belohnung empfunden.

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Radfahren und Segeln sind komplett andere Dinge, dennoch handelt es sich bei beidem um »natürliche« Fortbewegungsarten. Beim Segeln rücken die Team-Aktivitäten und die gemeinsame Alltagsorganisation ins Zentrum. Das ist ein ausgezeichneter Ausgleich und auch eine Ergänzung.

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Das Interview führte Jürgen Linde.

Gabriel (31) und Florian Wolf (38) sind die beiden Projektleiter des FOSvelo-Projektes der FOS Freie Mittelschule in Muttenz bei Basel. Radtouren sind die Leidenschaft der beiden Brüder. Schon seit vielen Jahren bauen sie Fahrräder und testen diese auf ambitionierten Touren. Ihre soliden Ideen und Konzepte haben sie im Modell »Alpentourer« vereint und im Jahr 2016 unter dem Markennamen Wolf & Wolf auf den Markt gebracht. Es ist eine stilvoll konzipierte Antwort auf viele Tourenfragen: Ein leichtes, schlichtes und sehr leistungsfähiges Liegerad, das auf befestigten und unbefestigten Strassen, auf kurzen und langen Strecken zuhause ist.

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Zwei Berichte der FOSvelo-Projekte aus Sicht der Schüler

Janik Jeker

Bau:
Wenn man die elfte Klasse an der FOS in Muttenz besuchen will, muss man sich im Vorfeld für einen Schwerpunkt entscheiden. Man darf wählen zwischen »Kunst« und »Ökologie«. Wir haben alle Ökologie gewählt. Zu diesem Schwerpunkt gehört der Bau eines Liegevelos und eine Reise am Ende des Schuljahres. So begannen wir im August 2016 mit dem Bauen. Dabei waren wir am Anfang insbesondere beschäftigt mit Aufgaben wie dem Zuschneiden und Schleifen von Rohren und anderen Teilen. Nach einer Zeit begannen wir mit dem Löten der Rahmen, wozu wir vorerst Hartlot und später an gewissen Stellen noch Silberlot benutzten. Dazu gehörte auch das Anpassen der Rohre, damit sie richtig gelötet werden konnten, was viel Schleifarbeit bedeutete. Als mehrere Rahmen fertig gelötet waren, wurden sie zu einer Pulverbeschichtung geschickt. Dort bekamen sie ihre Farbe. Als die Rahmen wieder in der Werkstatt der FOS waren, wurde mit dem Montieren begonnen: Alles von den Rädern über die Kette bis zum Schutzblech musste montiert werden. Als wir gerade so alle Velos fristgerecht fertig gestellt hatten, fuhren wir ein erstes gemeinsames Mal ein Wochenende nach Solothurn, um zu testen, ob alles gut geht und um Kilometer sammeln zu können, damit man auf der »großen« Reise schon etwas Erfahrung hat.

Reise:
Wir traten unsere Reise Anfang Juni an. Die meisten Schüler*innen verabschiedeten sich bei der FOS in Muttenz von Freunden und Familie, einige stießen jedoch später zu der Gruppe dazu, da sie in einem Ort wohnen, der an der Route liegt. Wir fuhren innerhalb von fünf Tagen nach Nizza. In Nizza angekommen konnten wir ein erstes Mal ein wenig entspannen, denn am Abend gingen wir auf die Fähre, welche uns über Nacht nach Korsika brachte. Die Schüler*innen und Herr Wessel gingen dort an Land, während Florian und Gabriel Wolf bis nach Olbia auf der Fähre blieben, um dort die Katamarane »Solea« und »Planado« mit Hilfe von Co-Skippern nach Porto Rotondo zu bringen. Am nächsten Tag drittelte sich die Gruppe und »rotierte« die nächsten zwölf Tage zwischen den Katamaranen und Velofahren auf dem schönen aber hügeligen Korsika.

Unsere Wiedervereinigung fand am 26. Juni statt, als wir uns in Genua trafen, um die Po-Ebene hinauf bis ins Tessin zu fahren, was mit 200 km die längste Strecke war, die wir in einem Tag zurücklegten. Leider gab es wettertechnische Schwierigkeiten, durch welche es unverantwortlich gewesen wäre, über den Gotthardpass zu fahren, was alle bedauerten, doch das wollen wir noch nachholen.

Ich kann auf eine wunderbare Erfahrung zurückblicken und möchte diese Erlebnisse nicht missen.

Valeria Sommer

Für den Schwerpunkt Ökologie habe ich mich entschieden, um über mich heraus zu wachsen: Durch den Bau des Liegerades in der FOS-Werkstatt, durch den Unterricht in Ökologie, in dem ich mehr über unsere Umwelt erfahre und natürlich durch die abschließende Veloreise, auf der ich mich selbst und das Team besser kennenlerne und auf der wir am Ende des Schuljahres auf Herz und Nieren geprüft werden.
In der Werkstatt habe ich bis jetzt schon viele Erfahrungen gesammelt. Ich merke, in welchen Arbeiten ich besser bin und in welchen weniger gut. So bin ich zum Beispiel gerne an der Fräsmaschine oder der Drehbank, um Rohre zu bearbeiten und kann dort motiviert und effizient arbeiten. Die Fräsmaschine muss genau eingestellt werden, sodass sie im richtigen Winkel und an der richtigen Stelle fräst. Dies erfordert Präzision, Geduld und Einfallsreichtum, denn das Rohr richtig zu platzieren ist manchmal gar nicht so einfach. Weniger gerne zentriere ich Räder.

So hat jeder seine Stärken, kann diese einsetzen und wir kommen als Team super voran. Dennoch gibt es Momente, die einen zum Verzweifeln bringen. So, denke ich aber, lernen wir mit Problemen umzugehen, was uns auf die Veloreise vorbereiten wird.

Was mir sehr gefällt an der Werkstattarbeit ist, dass man am Ende sieht, was man geschafft hat. So sehe ich die Rohre, die ich anfangs zugeschnitten habe, wie sie dann fertig geschliffen und gelötet einen fertigen Liegevelorahmen ergeben. Ich bin gespannt, was wir mit unseren Liegevelos alles erleben werden.