Ausgabe 3 · November 2006

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Gegenrede zu Velocase

Rainer H. Rauschenberg

Warum ich von harten Packtaschen wieder abgekommen bin

Ja, erstaunt war ich schon, als ich die Velocase-Fahrradkoffer das erste Mal sah. Nicht nur, daß ich mir nicht vorstellen konnte, daß jemand so viel Geld für eine Fahrradpacktasche ausgibt (ich kenne auch sonst niemanden, der sich den Luxusartikel Rimowa-Alukoffer gönnt), sondern auch, weil ich nicht umhin konnte zu vermuten, daß Velocase neben den Vorteilen auch alle Nachteile harter Packtaschen aufweist, die ich kenne, weil ich jahrelang Sperrholzpacktaschen nutzte.

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Ich kam eher zufällig darauf, Packtaschen aus Sperrholz zu bauen. Anfangs ersetzte ich die Rückwand der Packtaschen im Sechziger-Jahre-Design, mit denen ich meine ersten Fahrradurlaube unternahm, als die strukturgebende Pappe weich wurde, durch Sperrholzbretter (viele kleine Löcher gebohrt und an die Tasche genäht …). Als dann die Stoffteile mürbe wurden, kam mehr Holz dazu, und irgendwann lag es nahe die Tasche komplett aus Holz zu bauen. Das war so erstaunlich praktisch (endlich ein bequemer Sitzplatz beim Camping!), daß ich für mein damals entstehendes Reiserad auch vordere Packtaschen aus Sperrholz (20 cm × 30 cm × 40 cm) herstellte, diesmal etwas dünnwandiger und besser konstruiert. Neben Sitzplätzen für mehrere Mitreisende gab es jetzt auch einen Tisch.

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Ich habe die Sperrholzpacktaschen gerade bei Kleidung als sehr angenehm empfunden, da man extrem stopfen kann, ohne alles völlig zu zerknittern, die Grenze bildet lediglich die Durchbiegung des Deckels (irgendwann ist er halt nicht mehr wasserdicht). Bei harten Gegenständen sind sie meines Erachtens nicht praktischer als weiche Packtaschen, bei empfindlichen eher unpraktischer.

Die harten Gegenstände, die mit in den Urlaub müssen, haben leider in allen mir bekannten Fällen nicht die Form, die den Innenraum einer harten Packtasche mit wenig Hohlräumen ausfüllt. Also muß mit weichen Gegenständen gestopft und gepolstert werden. Das kann man aber in einer weichen Packtasche ebenso gut, wenn nicht besser.

Empfindliche Gegenstände schlagen meiner Erfahrung nach in einer harten Packtasche gegen die Wandung oder gegen andere harte Gegenstände, wenn man sie nicht abpolstert. Eine weiche Packtasche wirkt wie eine Federung für ihren Inhalt, eine harte gibt die Stöße, die das Fahrzeug erfährt, direkt an das Transportgut weiter. Machen Sie mal eine Probefahrt auf einem Liegerad mit Schalensitz ohne Sitzpolster, und Sie werden verstehen, was ich meine.

Die Nachteile zeigten sich allerdings auch schon recht früh: Wenn die Packtaschen nicht extrem gut fixiert waren, sondern vor allem unten etwas vom Gepäckträger abklappen konnten, dann hatte man gute Chancen im Laufe eines Urlaubs einen der an sich sehr haltbaren französischen V-Streben-Gepäckträger zu ruinieren. Die nach dem Abklappen an ihre Ruheposition zurückfallenden Packtaschen wirkten wie kleine Hämmerchen, die die Gepäckträgerstreben nach innen Richtung Speichen klopften. Irgendwann brach dann das Blech, das die Gepäckträgerstreben mit dem Ausfallenden verbindet. Dieses Problem lässt sich durch entsprechend stabile Gepäckträger und eine wackelfreie Befestigung lösen, wobei Velocase zu meiner andauernden Verwunderung mit lediglich zwei Haken gehalten wird und nicht gegen Abklappen gesichert ist.

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Des weiteren kann man nicht sehr gut vier davon auf einmal tragen. Und ich weiß auch nicht, wie das bei den Velocase gehen soll. Ein Paar Ortlieb-Backroller hingegen kann man gut in einer Hand halten und meist sind auch noch ein paar Finger übrig, um ein, zwei Kleinteile zu greifen.

Und so bin ich dann nach über zehn Jahren mit Sperrholzpacktaschen mit dem Wechsel auf das Liegerad als Reiserad zu stinknormalen Ortliebpacktaschen gewechselt.

Eine Bemerkung noch zu dem Argument, die Velocase-Koffer erlaubten ein seriöses Auftreten, auch wenn man mit dem Fahrrad anreist: Ich bin selbst ein paar Jahre lang mit (billigen) Alukoffern auf dem Gepäckträger zur Arbeit gefahren, und habe den Eindruck gewonnen, daß auf dem Fahrrad transportierte Alukoffer eher schneller unseriös abgestoßen aussehen als normale Packtaschen oder Aktentaschen (in dieser Hinsicht am verschleißärmsten war die Aktentasche, die ich mit der Klappe übers Oberrohr als Rahmentasche benutzte. Das geht halt nur mit Diamantrahmen ohne Trinkflaschenhalter).

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Zum Autor

Rainer H. Rauschenberg, technischer Redakteur in der EDV-Branche, promovierter Volkswirt (Schwerpunkt Verkehr und Umwelt), Alltags- und Reiseradler, vom »Aufrechtrad« über zweirädrige Liegeräder auf unverkleidete und verkleidete Liegedreiräder gekommen.