Ausgabe 35 · Dezember 2022

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Katja Diehl: Autokorrektur

Rezensentin: Sandra Littig

Katja Diehl
Autokorrektur
Mobilität für eine lebenswerte Welt
S. Fischer Verlag, 2022
272 Seiten
ISBN 978-3-10-397142-2
18 €

Katja Diehl formuliert ihr Ziel direkt zu Beginn ihres Buches: »Jede:r sollte das Recht haben, ein Leben ohne eigenes Auto führen zu können.« Mit ihrem Buch möchte sie zeigen, dass »die aktuelle Autonutzung zwar einigen Menschen die Mobilität bringt, die sie ohne Auto nicht abbilden können. Zu vielen Menschen, die nicht im Auto sitzen, bringt sie jedoch enorme Nachteile.« Diehl möchte zudem Lust machen auf die Gestaltung einer kindgerechten Stadt und eines autofreien mobilen ländlichen Raums.

Dafür bedürfe es einer echten Verkehrswende, die eine Mobilität entstehen lässt, die wirklich »wahlfrei, barrierefrei, inklusiv und klimaschonend ist.« Diehl postuliert, dass es in Deutschland kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem einer echten Verkehrswende gebe. Automobilität werde zurzeit zu sehr privilegiert und durch milliardenschwere Subventionen zu billig angeboten. Das geschehe derart, dass sogar Menschen, die gar nicht gern Auto fahren, dazu gedrängt werden, es dennoch zu tun.

Zuallererst brauche es für eine gelingende Verkehrswende eine veränderte Grundhaltung, in der nicht mehr die Technik, sondern der Mensch im Zentrum steht. Mit dieser Haltung müsse »das Verkehrssystem weniger behindertenfeindlich, weniger sexistisch, weniger rassistisch und weniger patriarchal« gestaltet werden. Denn gerade Menschen mit Einschränkungen seien nicht frei in der Wahl ihrer Mobilität. Die Fahrt mit dem eigenen Kraftfahrzeug sei häufig deren einzige Option. Auch Menschen bestimmter Personengruppen würden hauptsächlich das Auto nutzen, »um sexistischen und rassistischen Übergriffen aus dem Weg zu gehen.« Es gibt viele Menschen, die, um mobil zu sein, im Auto sitzen müssen, schlicht weil ihnen die Alternativen fehlen.

Diese These untermauert Diehl in ihrem Kapitel »Mensch« mit einer Reihe von Interviews, die sie mit verschiedensten Menschen geführt hat: Menschen in Familien, Menschen im ländlichen Raum, Menschen in Armut, Menschen, die rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sind (selbstbezeichnet als »BIPoC«, Black, Indigenous, and People of Color), Transpersonen und Menschen, die Einschränkungen haben oder alt oder krank sind.

In den beiden Kapiteln »Mobilität« und »Raum« gibt Diehl einen Abriss der Verkehrsentwicklung, die im 20. Jahrhundert – auch mit der entsprechenden Gesetzgebung – dazu führte, dass gemeinsam genutzter Raum zugunsten eines priorisierten Fahrzeugs, des Autos, aufgegeben wurde. Das Auto wurde spätestens ab den 1950er Jahren zum Statussymbol – vor allem in Westdeutschland. Städte wurden autogerecht umgebaut. Erstmalig bestimmte ein Verkehrsmittel die Stadtplanung. Dabei wurde die schnelle Durchfahrt wichtiger als die Lebensqualität vor Ort.

Diehl beschreibt zudem sehr detailliert, wie sehr der Besitz eines privaten Kraftfahrzeugs in Deutschland staatlich subventioniert wird und wie hoch der Platzverbrauch von Autos ist. Platz, der anderen, unter anderem Kindern mit großem Bewegungsdrang, genommen wurde.

»Autokorrektur« ist ein sehr lesenswertes Buch! Auf 272 Seiten öffnet Katja Diehl dem Leser die Augen für die Missstände und Ungerechtigkeiten im deutschen Verkehrsraum, die von den meisten Menschen als selbstverständliche Gewohnheiten als gegeben hingenommen werden. Diehl schildert in ihrem Buch umfangreich und zudem ansprechend, wie sehr das Auto (immer noch) im Fokus des politischen Handelns steht. Dabei verharrt sie nicht in einer pessimistischen Weltsicht, sondern führt stattdessen aus, was unternommen werden muss, um Mobilität für ALLE in einer lebenswerten Welt zu gestalten. Mit ihrem Buch macht sie zudem Mut, sich für dieses Ziel vor Ort zu engagieren.

Zur Rezensentin

Sandra Littig, Jahrgang 1988, arbeitet als Grundschullehrerin in Dresden. Meist fährt sie per Rad und ab und zu mit dem Bus zur Arbeit. Zusammen mit ihrem Mann und zwei Kindern (4 und 6 Jahre alt) lebt sie in einem Haushalt ohne eigenen Autobesitz, stattdessen gehören einige Fahrräder und zwei Tandems zum privaten Fuhrpark. Zu Ausflügen in die Region führen sie Bus, Bahn und Carsharing.