Ausgabe 6 · August 2008

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Gelesen

»Bicycling Science« von David Gordon Wilson

Rezensent: Reiner Dölger

David Gordon Wilson(with contributions by Jim Papadopoulos):
Bicycling Science.
3. Auflage.
Massachusetts: MIT Press, 2004.
ISBN 0-262-23237-5

Dies ist kein Technikratgeber, kein Fahrradlexikon und auch keine Zweiradhistorie, sondern ein Buch über das, was die Theorie vom Radfahren weiß. Theorie kann ja ungemein praktisch sein und hier ist sie es auch. Würde in einem Radrennen, indem alle Fahrräder zugelassen wären, die der liebe Gott zu bauen möglich gemacht hat, Windschatten gefahren? Nein, denn hinter vollverkleideten Rädern lohnt sich das überhaupt nicht. Es wird auch behauptet, dass die Geschichte des Radfahrens mit dem Vulkanausbruch des Tambora 1815 zusammenhing. Denn die Missernte, Futter- und Pferdeknappheit im darauf folgenden Jahr ohne Sommer 1816 lieferte einen zusätzlichen Grund für Freiherrn von Drais, sich über eine menschenmuskel-getriebene Fortbewegungsmöglichkeit Gedanken zu machen.

David Gordon Wilson war lange Zeit Professor am renommierten MIT (Massachusetts Institute of Technology) und hat Bicycling Science nun in der dritten Auflage herausgebracht. Er hat sehr viele Studien aus etlichen Jahrzehnten herangezogen und versucht herauszuschälen, was wirklich bewiesen, was widerlegt und – das ist das größte Feld – mal so oder so zu sehen ist. Denn zum Einen wurde natürlich über das Radfahren weniger geforscht als zum Beispiel zum Fliegen, einer Kunst in der man schon vieles ziemlich genau wissen muss bevor man anfängt. Es sind meist nur vereinzelte Studien, die Wilson aus einer unglaublich breiten wissenschaftlichen Literatur herausfischen muss: Aerodynamik, Sportmedizin, Fahrzeugbau, Materialkunde etc. Wer will, kann diesen Quellen über das umfassende Literaturverzeichnis natürlich selber weiter nachgehen. Zum Anderen aber lässt sich das Radfahren nicht ohne den Menschen untersuchen, der Rad fährt und der z. B. »body english«, Körpersprache, einsetzt um die Durchfahrt durch ein Schlagloch erträglicher zu gestalten. Und da Fahrräder immer noch irgendwie Verlängerungen des Körpers sind, kommt es letztlich auch auf diesen Körper an, wenn man die Eigenschaften, die Vorzüge und Nachteile von Fahrradkonstruktionen diskutieren will.

Nach einem kurzen Rückblick auf die Geschichte des Fahrrades steigt Wilson daher mit dem Kapitel »Human Power Generation« ein. 2.378 Watt ist der Rekord, der auf einem Ergometer 3 Sekunden gehalten wurde, fast 10 Mal mehr als die NASA 1964 einem gesunden Mann als Leistung über eine Stunde zuschreibt. 75 Watt sind dagegen eine Leistung, die man/frau ohne große Mühe über längere Zeit erbringt. Das Kapitel geht auf die Art und Funktionsweise der beim Radfahren beteiligten Muskeln ein, auf ihre Versorgung mit Nährstoffen und schließlich die Umsetzung in treibende Kraft. Offensichtlich hat die Betrachtung des Fahrrades immer wieder Leute mit originellen Ideen angezogen, Enthusiasten und geniale Bastler. Aus diesem Brunnen schöpft der Autor reichlich, um den von der Theorie her trockenen Stoff genießbarer zu machen. Zum Beispiel gibt es Hinweise, dass es besser wäre, die Pedale rückwärts zu kurbeln, oder effizienter höher zu sitzen, als dies gewöhnlich heute empfohlen wird. Und schließlich, dass die meisten Menschen ihre maximale Leistung nur in einer Art »Ruderfahrrad« erbringen, das z. B. oszillierende Hebel besitzt und vielleicht auch noch die Arme beteiligt (bringt bis 20 Prozent mehr Leistung, was ja jeder merkt, der beim Wiegetritt am Lenker zieht).

»How bicyclists keep cool«, behandelt nicht die neusten Modetrends sondern die wichtige Tatsache, dass intensives Radfahren eine ausreichende Kühlung des Körpers braucht, die z. B. auf dem Hometrainer selten gegeben ist. Die Leistung, die in einem Zeitfahren 1 Stunde lang durchgehalten werden kann, schaffen die gleichen Personen ungekühlt auf einem Ergometer höchstens für 15 Minuten.

»Bicycle aerodynamics« gehört zu »Power and Speed« wie das Ritzel zur Kette. Ein vollverkleidetes Liegerad kann mit der gleichen Leistung doppelt so schnell fahren wie ein Fahrer auf einem klassischen Rennrad. Kein Wunder, dass die Liegeräder schon 1934 für Radrennen ausgeschlossen wurden. Seitdem hat der Rennzirkus ja auch kaum noch brauchbare Innovationen für den Alltagsfahrer hervorgebracht.

Wer wissen will, warum kleine Räder einen höheren Rollwiderstand haben als große oder was man durch schlaffen Reifendruck an Energie verliert, wird in den nächsten Kapiteln ebenso fündig wie Fahrradfahrer, die sich (zu Recht) Gedanken über heiß werdende Felgen nach Bergabfahrten machen: Bei einem Tandem oder mit 16-Zoll-Reifen können das backblechartige Temperaturen von mehr als 150 Grad sein. Mancher ist schon aufgrund eines sogenannten »Shimmy«, eines plötzlichen hochfrequenten Vibrierens am Fahrrad, gestürzt. Den Lenker fest zu packen nützt da nichts mehr, sondern besser ist es aus dem Sattel zu gehen oder den Rahmen mit der Hand zu stabilisieren.

Zu einigen technischen Streitfragen steuert Wilson seine Meinung bei: So argumentiert er etwa, die Kettenschaltung sei mehr und mehr ein Anachronismus. Mit dem 9. Ritzel und der damit verbundenen immer stärkeren Asymmetrie am Hinterrad habe sie ihre technische Grenze erreicht. Nun wird sie seiner Meinung nach von Nabenschaltungen wieder überholt, obwohl noch immer ein paar mehr Prozente Verlust durch die Zahnräder in Nabenschaltungen entstehen.

Mancher Krug geht ganz schön lange bis zum Brunnen, bis er endlich bricht. Aber wann das soweit ist, ist eine Wissenschaft und ein Kapitel für sich. Was man gegen leicht brechende Lenker tut und was einen Aluminium- von einem Stahlrahmen hinsichtlich Steifheit und Materialermüdung unterscheidet, lernt und versteht man nach Leküre seines Buchs. Es bleibt eine Menge für Konstrukteure zu tun: Leute packt’s an!

Das Thema »Federung« wird leider nur unvollständig behandelt. Aus den angrenzenden Feldern (Rollwiderstand, Reifen, Steuerung von Fahrrädern) deutet sich an, dass der messbare Effekt von Federungen nicht sehr hoch ist, wenn ein erfahrener Fahrradfahrer sichtbare Unebenheiten durch Körpereinsatz ausgleichen kann.

Aber per Muskelkraft kann man sich nicht nur auf dem Boden fortbewegen: Wer es schafft, mit einem muskelgetriebenen Helikopter für mindestens eine Minute abzuheben und zumindest ganz kurz 3 Meter hoch zu kommen, kann immer noch den Preis der amerikanischen Helikopter-Vereinigung gewinnen. Das mag unglaublich schwer erscheinen, aber immerhin wurden schon 119 Kilometer Non-Stop mit einem muskelgetriebenen Flugzeug zurückgelegt.

Das Kapitel »Unusual human powered machines« versucht schließlich darzustellen, welche alltäglichen Maschinen man mit Muskelkraft genauso betreiben könnte wie mit Verbrennungsmotoren oder Elektroantrieb. Und zu alldem müssen wir nur zwei Dinge benutzen: Unsere Kraft und unseren Kopf.

Zum Rezensenten

Reiner Dölger, Mainz, interessiert sich besonders für die vielen Möglichkeiten und Vorteile, die im Konzept Fahrradfahren stecken.

»Recht für Radfahrer – Ein Rechtsberater« von Dietmar Kettler

Rezensent: Peter de Leuw

Dietmar Kettler:
Recht für Radfahrer – Ein Rechtsberater.
2. überarbeitete und aktualisierte Auflage.
240 Seiten.
25,00 €.
Berlin: Rhombos-Verlag, 2008.
ISBN 978-3-938807-99-6

Nach zehn Jahren ist nun die zweite Ausgabe des Buches »Recht für Radfahrer« von Dietmar Kettler erschienen. Das war auch bitter nötig, hatte sich doch vor allem in der Rechtsprechung einiges bewegt. Der Umfang ist deutlich gewachsen, das bewährte Konzept hat der Autor beibehalten.

Wie die erste Auflage bespricht und erläutert die aktuelle Ausgabe Paragraf für Paragraf der Straßenverkehrsordnung (StVO) und belegt die Ausführungen mit Urteilen höherer Gerichte. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, anderer Rechtsbereiche, Versicherungen sowie dem Verhalten nach einem Unfall. Auf den ersten Blick mag man sich fragen, was das Zivil- oder Strafrecht und das Steuerrecht mit dem Fahrrad zu tun hat. »Recht für Radfahrer« gibt die Antwort: Es geht um Haftung nach einem Unfall, die Produkthaftung und die Haftung z. B. nach unsachgemäßen Reparaturen in der Werkstatt. Das Strafrecht wird relevant bei Unfallflucht, Beleidigung, Nötigung und vielen anderen Delikten. Mit dem Steuerrecht müssen wir uns befassen, wenn wir den Kauf des Fahrrades oder von Zubehör von der Einkommensteuer absetzen wollen oder wenn es um die Entfernungspauschale geht.

Bereits die Erstauflage war konkurrenzlos, die aktuelle Ausgabe ist es ebenfalls. Es gibt kein vergleichbares Buch, das sich so ausführlich mit dem deutschen Recht für Radfahrer beschäftigt. Der Leser erhält einen Ratgeber, der sich auf hohem Niveau und differenziert mit den Rechten und Pflichten des Radfahrers auseinander setzt. Das Buch richtet sich auch an Juristen, ist aber durchweg für den juristischen Laien verständlich geschrieben.

Offene Fragen

Nicht immer wird man jedoch eine klare Aussage finden. Das liegt allerdings nicht am Autor, sondern an der teils unklaren Rechtslage und auch daran, dass es in manchen Bereichen einfach an Urteilen fehlt. Ein Grund dafür mag sein, dass die offen bleibenden Fragen in der Praxis nicht wirklich relevant sind. So vertritt Kettler z. B. die Auffassung, dass die in Paragraf 21, Absatz 3 der StVO gesetzten Grenzen für den Personentransport auf dem Fahrrad (Mindestalter des Radfahrers und Höchstalter des Beförderten) nicht für den Kindertransport in Anhängern gelten dürften. Laut Kettler fehle es an der Vergleichbarkeit der Situation. Diese Einschätzung ist zwar durchaus nachvollziehbar und wird durch zwei Zitate aus der Zeitschrift »Polizei, Verkehr und Technik« gestützt. Mehrere Veröffentlichungen aus dem Bundesverkehrsministerium und ein Erlass des Hessischen Innenministeriums sehen die Sache aber anders. Diese widersprüchlichen Ansichten sind nicht dem Autor zur Last zu legen, eine Lösung sucht der Leser allerdings vergeblich. Wie im Zweifel ein Richter urteilen wird, hängt dann vom Einzelfall ab.

In der Besprechung von Paragraf 9 der StVO (»Abbiegen, Wenden«) wird der Widerspruch zwischen der angeführten Rechtsprechung (50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, offensichtlich haben sich die Gerichte später nicht mehr damit befasst) und der aktuellen Formulierung der Vorschrift nicht deutlich. Während die Rechtsprechung es als grob verkehrswidrig ansieht, wenn ein Radfahrer abbiegt ohne das vorher angezeigt zu haben, lässt es die exakte Auslegung der StVO gar nicht zu, das Abbiegen anzuzeigen. In der StVO heißt es: »Wer abbiegen will, muß dies rechtzeitig und deutlich ankündigen; dabei sind die Fahrtrichtungsanzeiger zu benutzen.« Am Fahrrad sind Fahrtrichtungsanzeiger, im allgemeinen Sprachgebrauch auch als »Blinker« bekannt, nicht zulässig. Eine andere Methode, die Änderung der Fahrtrichtung anzuzeigen, sieht die StVO nicht vor. Warum es dann trotzdem grob verkehrswidrig ist, ohne Handzeichen abzubiegen, lässt der Autor leider offen.

Nicht korrekt hingegen sind die Ausführungen Kettlers zu den einschlägigen DIN-Vorschriften. Er schreibt zwar richtig, dass die DIN 79100 inzwischen abgelöst wurde. Der Autor nennt als Nachfolger die DIN EN 14764, 14765, 14766, 14781 und 14782. Anschließend behauptet er jedoch, dass »die DIN« vorsehe, dass der Handbremshebel für die Vorderradbremse rechts und der für die Hinterradbremse links am Lenker montiert sein muss. Dies trifft nur für die nicht mehr gültige DIN 79100 zu, bei den aktuellen Normen wird auf diese Festlegung verzichtet. Abgesehen davon hat die in der Aufzählung genannte DIN EN 14782 nichts mit Fahrrädern zu tun. Für das tägliche Leben ist all dieses allerdings auch wenig relevant.

Fazit: Empfehlenswert

Insgesamt ist die Neuauflage eine lohnende Anschaffung für alle, die ihre Rechte und Pflichten als Radler kennen wollen. Die Gliederung und das ausführliche Stichwortverzeichnis machen das Buch zu einem hervorragenden Nachschlagewerk.

Praktisch wäre eine Abbildung der relevanten Verkehrszeichen. Auch wenn die Zeichen anhand der Benennung aus der Straßenverkehrsordnung ausreichend deutlich beschrieben werden, dürfte eine bildliche Darstellung für viele Radfahrer hilfreich sein. Der dazu nötige Vierfarbdruck wäre aber ein Kostenfaktor.

Die Rechtsprechung ist in ständiger Bewegung. Aktuelle Informationen veröffentlicht der Autor auf seiner Website, die eine gute Ergänzung, aber keinesfalls ein Ersatz für das Buch ist.

Derzeit gibt es wieder einen Entwurf für eine weitere Novelle der StVO, die auch für Radfahrer wieder erhebliche Veränderungen bringen wird. Unter anderem würden Altersgrenzen bei der Mitnahme von Kindern in Fahrradanhängern festgelegt, sodass die oben angeführten Unklarheiten entfielen. Sollte diese Novelle beschlossen werden, hoffen wir auf eine Neuauflage nicht erst in weiteren zehn Jahren …

Zum Rezensenten

Peter de Leuw, Jahrgang 1967, staatlich geprüfter Lebensmittelchemiker, tätig als IT-Trainer im Netzwerkumfeld. Das Fahrrad ist primär Verkehrsmittel, sekundär Freizeitgerät und Hobby.